Die ‚verrückte’ Stunde

Frühlingsmärchen: Eine Geschichte zur Umstellung der Uhr auf Sommerzeit

Eines Tages Ende März, erwachte die Stunde ZWEI mit einem Riesenschrecken.
„Ach, du liebe Kuckucksuhr“, heulte sie auf. „Ich kann doch nicht verschlafen haben? Nein, unmöglich!“
Verstört starrte sie auf die Uhr am Hauptbahnhof. Der große Zeiger stand auf der ZWÖLF, der kleine auf der DREI.
„Drei Uhr!“, murmelte die Stunde. „Wieso drei Uhr? Das gibt es doch nicht! Ich bin jetzt an der Reihe. Nach EINS komme ich, die ZWEI! Und nicht die DREI! Gemeinheit!“
Die Stunde ZWEI kletterte zur Bahnhofsuhr hinauf und setzte sich auf den kleinen Uhrzeiger.
„Du gehst falsch“, rief sie erregt. „Du musst auf die ZWEI zurück!“
„Noch nie bin ich falsch gegangen“, brummte die Uhr. „Nur einmal, vor 13 Jahren, musste ich wegen eines Gewitters stehen bleiben. Das war nur eine reine Vorsichtsmaßnahme. Man muss ja schließlich auf sich aufpassen!“
„Aber jetzt gehst du falsch!“, rief die Stunde verzweifelt.
Die Uhr zuckte zusammen. „Warum?“, fragte sie nervös. „Hatten wir ein Gewitter?“
„Neiiin! Du hast einen Fehler gemacht.“
„Ich mache nie Fehler!“ Die Uhr begann sich zu ärgern. Vorwürfe ließ sie sich nicht gerne machen, schon gar nicht von so einer verrückten Stunde.
Die Stunde aber heulte los.
„Du hast mich übersehen. Nach EINS kommt ZWEI, nicht DREI. Du bist eine Stunde zu weit vorgerückt! Du hast mir meine Zeit gestohlen!“
Der DREI wurde es zu viel.
„Halt endlich die Klappe, damit ich meine Arbeit machen kann!“, schimpfte sie.
„Aber was wird mit mir?“ Die ZWEI war verzweifelt. „Ihr könnt mich doch nicht so einfach vergessen!“
„Pass künftig besser auf! Und jetzt geh zum Kuckuck oder sonst wohin und lass mich meine Arbeit machen!“
Die Bahnhofsuhr tat, als sei die ZWEI nicht mehr da, und tickte sich ihres Weges durch Nacht und Zeit.
Die Stunde ZWEI aber war sauer.
„Das wird mir nicht mehr passieren“, schwor sie. „Aufpassen werde ich wie ein Luchs!“
Und das tat sie dann auch. Die ganze Nacht und den ganzen Tag starrte sie zur Bahnhofsuhr hinauf. Langsam rückte der kleine Zeiger vorwärts, von einer Stunde zur anderen. Gleichmäßig und korrekt.
Wieder wurde es Nacht. Zehn Uhr, elf Uhr, zwölf Uhr, ein Uhr – und als der kleine Zeiger kurz vor der ZWEI stand, sprang die Stunde mit einem heftigen Satz auf den kleinen Zeiger und klammerte sich an ihm fest. Und dieses Mal blieb der Zeiger auf der ZWEI stehen, so wie er es immer tut, Tag für Tag und Nacht für Nacht.
Die Stunde aber wunderte sich.
„Verrückt“, dachte sie. „Hab ich mir das gestern Nacht nur eingebildet? Hoho! Ich bin vielleicht eine verrückte Stunde!“
Na, wie wird sie sich in einem halben Jahr, so etwa Ende Oktober, erst wundern?

© Elke Bräunling

Die Bahnhofsuhr, Bildquelle © bernswaelz/pixabay

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