Die kleine Waldmaus und die ‘Brüder’ der Bäume
Fröhliche Waldmausgeschichte im Herbst – Von Pilzen und Wurzeln im Wald
„Pilze sind komische Tiere“, sagte die kleine Waldmaus zu ihrem Freund, dem kleinen Igel. „Plötzlich stehen sie da und versperren dir den Weg. Und dann rühren sie sich auch nicht mehr von der Stelle. Faule Kerle sind das! Wenn sie hier so plötzlich auftauchen, sieht es gleich ganz anders aus in unserem Wald.“
„Pilze sind keine Tiere“, antwortete der kleine Igel. „Pilze sind so etwas wie die Brüder der Bäume.“
„Hohoho!“ Die kleine Waldmaus musste lachen. „Komische Brüder sind das.“
„Ich meine ja auch nur“, knurrte der Igel. „Weil sie auch so etwas wie Wurzeln haben. Unsere Tierkollegen haben keine Wurzeln.“
„Ein Glück. Wer Wurzeln hat, kann nicht laufen. Alle Tiere können laufen. Oder gehen. Oder kriechen. Oder fliegen. Nicht auszudenken, wenn diese Pilze in unserem Wald herumliefen!“
„Stimmt. Wir Tiere können keine Wurzeln brauchen. Wie sollen wir sonst unser Futter finden? Obgleich“, der kleine Igel, der manchmal gerne etwas faul war, überlegte. „Obgleich es nicht zu verachten ist, an einem Platz stehen bleiben zu dürfen und sich von den Wurzeln in der Erde ernähren zu lassen. Sehr bequem ist das, muss ich sagen. Sehr bequem.“
„Und wenn ein Feind kommt, kannst du nicht vor ihm weglaufen, du fauler Kerl.“ Die kleine Waldmaus kicherte. Sie fand es immer lustig, wenn ihr Igelfreund verrückte Ideen hatte. Dieses ‘Wurzel haben’ war eine davon.
„Ich habe doch meine Stacheln“, brummte der Igel da auch schon. „Sie halten Feinde von mir fern.“
Das stimmte auch wieder. Fast. „Alle Feinde?“, bohrte die kleine Maus weiter.
„Na ja, fast alle“, gab der Igel zu. „Jeder hat Feinde und jeder hat Glück.“
„Und diese ‚Brüder der Bäume‘, die keine Tiere sind“, hakte die kleine Waldmaus nach, „haben die auch Feinde und Glück?“
„Die auch.“
„Wie dumm ist es aber dann, dass sie nicht weglaufen können.“
Fast hatte die kleine Waldmaus Mitleid mit diesen komischen Dingern, die die Menschen Pilze und der kleine Igel ‚Brüder der Bäume‘ nannte.
„Und sie sind doch Tiere“, sagte sie dann wieder. „Sie können sprechen. Manche von ihnen.“
„Hohoho!“ Der kleine Igel lachte. „Zeige mir einen, der einen Ton von sich geben kann.“
„Nichts leichter als das. Sieh den da mit dem breiten, braunen Hut, der mitten auf dem Weg steht. Wenn du ganz still verharrst, kannst du seine Stimme hören. Psst!“
„Ha!“ Der kleine Igel lachte. „Das will ich sehen, äh, ich meine natürlich hören.“ Er lachte und fand das alles sehr komisch. Dann aber hörte er es selbst, dieses Rumoren im Inneren des Pilzes und diese dumpfe Stimme, die dort schimpfen zu schien.
„D-d-d-er B-b-baumbruder-p-pilz kann ja wirklich sprechen“, stammelte er. „Ein Wunder! Oh! Ein Wunder!“
„Siehst du? Ich habe recht.“ Die kleine Waldmaus freute sich. Den Teufel würde sie tun und dem staunenden Igel jetzt verraten, dass im Pilz ein hungriger, meckernder, kleiner Waldwurm saß und sich am saftigen Pilzfleisch satt aß. Sie hatte ihn vorhin selbst beobachtet, wie er auf Nahrungssuche in den Hut des Pilzes gekrochen war. Das aber sollte ihr Geheimnis bleiben. Es tat nämlich gut, den kleinen Igel, der immer alles besser wusste, auch einmal ratlos zu sehen. Und lustig war es auch.
© Elke Bräunling
‘Brüder’ der Bäume, Bildquelle © enriquelopezgarre/pixabay