Sind die Gedanken frei?

Sind die Gedanken frei?

Kindergeschichte vom Denken und Fühlen

Titel + Text + Illustration: Oma und Kind singen ein Lied, an der Wand ein Stickbild: Die Gedanken sind freiKann jeder denken, was er will?

„Schäme dich nie deiner Gefühle, kleiner Anton. Sei frei in dem, was du denkst und fühlst – und auch in dem, was du tust.“

Was ist eigentlich ein freier Gedanke? Können Gedanken wirklich fliegen wie Schatten in der Nacht – wie es das alte Lied sagt? Und: Dürfen wir wirklich immer denken, was wir wollen?
Kinder denken viel – manchmal laut, manchmal leise. Sie denken über Dinge nach, die wir Erwachsenen längst für selbstverständlich halten. Und manchmal trifft sie eine Bemerkung wie ein kleiner Blitz: „Pass auf, was du denkst!“ So ergeht es auch dem kleinen Anton in dieser Geschichte.
Seine Oma singt das Lied „Die Gedanken sind frei“, doch Anton ist plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob das wirklich stimmt. Kann man Gedanken sehen? Und darf man alle Gefühle zeigen – auch wenn sie traurig machen?
Diese warmherzige Geschichte lädt Kinder und Erwachsene dazu ein, gemeinsam über das Nachdenken nachzudenken. Über Freiheit im Kopf und im Herzen. Und über das mutige Zulassen von Gefühlen – ganz ohne Scham.
Ein poetischer, leiser Text für stille Minuten, für Gesprächsrunden, für Schulklassen – und für alle, die sich fragen: Was bedeutet eigentlich innere Freiheit?
Mit Ausmalbild.

 

 

Sind die Gedanken frei?

„Die Gedanken sind frei,  wer kann sie erraten, sie fliehen vorbei wie nächtliche Schatten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen. Es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei. …. Lalala lalaa, lalala lalala ….“
Oma Martha trällert ihr Lieblingslied und Anton trällert mit. Es gefällt ihm, dieses Lied, das schon über zweihundert Jahre alt ist. Nur die Worte begreift er nicht so ganz. Freie Gedanken! Was bedeutet das? Jeder kann doch denken, was er will!
Oder doch nicht?
Es ist das erste Mal, dass Anton darüber nachdenkt. Komisch, ausgerechnet heute hat Frau Starke in der Schule „Pass auf, was du denkst, Anton!“ gesagt. Und sie hat erklärt, dass man Gedanken im Gesicht ablesen kann und es sei nicht immer nett, was man da so alles liest.
Das hat Anton erschreckt. Das kann doch nicht stimmen, oder?
„Ich denke, was ich will …“, singt Oma Martha weiter.
Klar, denkt Anton, das tue ich auch und es kann mir keiner verbieten.
Er mustert Omas Gesicht genauer. Ob er ablesen kann, was sie gerade denkt?
Hm! Das ist gar nicht einfach. Die Fältchen um ihre Augen bilden einen fröhlichen Kranz, das sieht lustig aus. Bestimmt denkt sie an etwas Schönes.
„Ist es etwas Besonderes, wenn man an nette Dinge denkt? Und ist dieses ‚Frei-sein‘ auch so etwas?“
„So was?“, fragt Oma.
„Na, so etwas Nettes und ganz besonders Schönes.“
„Das kann wohl sein. Schöne Gedanken fühlen sich großartig an, traurige bringen uns zum Weinen, sie können sogar krank machen.“
Das Strahlen will sich aus Omas Augen verabschieden. Ein paar Tränen glitzern.
„Ich will dich nicht traurig machen!“, sagt Anton schnell.
Oma schüttelt den Kopf.
„Das ist in Ordnung, mein Schatz!“, tröstet sie. „Es ist gut, wenn man seine Gefühle zulässt und sie auch lebt. Das bedeutet Freiheit nämlich auch. Und weißt du, diese Freiheit genehmigen wir uns oft selbst nicht und das ist sehr schade.“
„Ja, schade“, meint Anton. „Man schämt sich dann, nicht wahr? Und das ist auch nicht frei.“
„Nein, das ist es nicht. Und ungesund ist es zudem.“ Oma nickt. „Schäme dich nie deiner Gefühle, kleiner Anton! Sei frei in allem, was du denkst und fühlst und auch in dem, was du tust, wenn es redlich ist.“
„Redlich?“, fragt Anton, der dieses Wort noch nie gehört hat.
„Ja, das bedeutet ehrlich, anständig. Also täusche keine Gefühle vor, die du nicht hast!“
„Ehrlichkeit macht auch frei, stimmt`s?“
„Sehr sogar. Lügen lasten schwer auf der Seele und eine schwere Seele ist nicht …“
„Frei!“ Anton nimmt Oma das Wort aus dem Mund. Er genießt es, mit ihr wichtige Dinge zu bereden und das mit der Freiheit ist wirklich ein sehr ernstes Thema.
Oma lacht. „Ich sehe, du weißt gut, worüber wir sprechen. Das gefällt mir. Und nun bin ich so frei und lade dich zu einem Eis ein. Einverstanden?“
„Einverstanden“, sagt Anton. „Ich bin so frei und sage, dass ich das riesenmäßig toll finde.“
Dann summt er nochmal die Melodie „Die Gedanken sind frei,  wer kann sie erraten , lala la …“ und Oma singt mit.

© Elke Bräunling

Illustration: Oma und Kind singen ein Lied, an der Wand ein Stickbild: Die Gedanken sind frei

 

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AUSMALBILD

Ausmalbild: Oma und Kind singen ein Lied

 

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