Fünf Erntegeschichten für Kinder
Fünf Erntegeschichten für Kinder
Kindergeschichten zu Ernte und Erntedank
„Wenn Hände ernten, lernt das Herz: teilen, danken, froh sein.“
Fünf warmherzige Erntegeschichten führen Kinder vom Bauernhof über den Schulgarten in den Obstgarten zum Kürbisfeld und bis in den Weinberg. Mit vielen Ideen rund um Erntedank – plus Ausmalbildern und einem Audio zum Mitlauschen. Perfekt zum Vorlesen in Kindergarten, Grundschule und Zuhause.
Inhalt
- Erntefeste auf dem Bauernhof
- Erntefest im Schulhof
- Max, der Apfelbaumkletterer
- Ein Gespräch im Kürbisbeet
- Herbstfest bei Onkel Willibald
Erntefeste auf dem Bauernhof

Erntegeschichte – Viel gibt es auf dem Bauernhof in Sommer und Herbst zu tun
Lars und Lisa sind zu Besuch bei Onkel Paul und Tante Katherina. Die haben einen Bauernhof mit vielen Pflanzen und Tieren und es geht hier immer sehr spannend zu. Viel zu tun gibt es auch.
„Dürfen wir beim Ernten helfen?“, fragt Lars beim Frühstück.
„Freilich“, antwortet Onkel Paul. „Zur Erntezeit gibt es Arbeit für jeden und ich kann immer Hilfe brauchen. Besonders nun bei der Obsternte. Im letzten Sommer und Herbst haben wir sehr viele Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Johannisbeeren, Pfirsiche, Pflaumen, Birnen und Äpfel gepflückt. Einen großen Teil haben wir auf dem Markt verkauft, doch es ist genügend Obst übrig geblieben für Obstkuchen, Beerenmus, Marmelade, Gelee und Saft.“
Lars und Lisa hören gespannt zu.
„Hm, lecker! Obstsalat und Kuchen mag ich besonders gut leiden!“, schwärmt Lisa und fährt sich genießerisch mit der Zunge über die Lippen.
„Wie lange dauert es denn nun noch bis zur Obsterntezeit?“, fragt Lars.
„Oh, wir sind mittendrin“, antwortet Onkel Paul. „Die Erdbeeren, Himbeeren, Kirschen und Johannisbeeren sind schon geerntet. Nun geht es weiter mit den Stachelbeeren, Aprikosen und Spätkirschen. Aber auch viel Gemüse, frühe Kartoffeln, Kräuter, Blumen und das Heu wollen gepflegt und eingebracht werden. Bald folgen auch die Getreideernte und vielleicht noch eine zweite Heuernte. Dann sind die Äpfel an der Reihe, die Birnen und Zwetschgen und die Trauben im Weingarten. Im Oktober geht es dann noch einmal aufs Kartoffelfeld. Auch die Rüben warten dann auf die Ernte ebenso wie die Kürbisse und der Mais, die späten Äpfel, Birnen und Walnüsse. Ihr seht, es gibt auf unserem Hof immer etwas zu tun. Ach ja, und zur Belohnung für
die anstrengende Arbeit feiern wir Anfang Oktober das Erntedankfest.“
„Oh fein!“, rufen Lars und Lisa wie aus einem Mund. „Ernten ist tol! Und Feste feiern sowieso.“
Onkel Paul zwinkert ihnen zu. „Wie wäre es mit einem Probeerntedankfest?“
Lars und Lisa wissen erst nicht was ihr Onkel meint, doch dann verstehen sie.
„Und was ernten wir heute?“, fragt Lisa.
„Oh, lasst uns pflücken, was wir jetzt hier so finden!“
Onkel Paul lächelt und zeigt auf die große Wiese, die voller Klee, Kräuter und Sommerblumen steht.
„Und dann feiern wir …“, beginnt Lars.
„Ein Blumenerntefest“, ergänzt Lisa und klatscht voller Vorfreude in die Hände.
© Elke Bräunling
Erntefest im Schulhof
Erntedankgeschichte für Kinder – Erntefreude im eigenen Schulgarten.
Hinter der Schule liegt eine große Wiese und daneben ein verwildertes Ackergrundstück.
„Ich habe eine Überraschung für euch“, sagt Frau Schäfer, die Lehrerin, eines Tages zu ihren Schülern. Sie verteilt Gartengeräte und einen Korb voller Tüten und Pflanzen und fordert alle Kinder auf, ihr zu folgen.
Sie führt sie über die Wiese zu dem Ackerstück, das jemand schon sauber gepflügt hat.
„Das ist jetzt unser Schulgarten und dieser Teil hier gehört uns, der Klasse 2b. Jede Klasse erhält ein Gartenstück und dort können wir anpflanzen, was wir uns wünschen“, erklärt sie ihren Schülern.
Sie steckt ein Schild in die Erde, auf dem in Großbuchstaben KLASSE 2B steht, und verkündet, dass sie nun das ganze Jahr für dieses Stück Land verantwortlich seien und dass die Gartenarbeit großen Spaß mache.
„Und heute“, sagt sie, „säen wir Radieschen, Mohrrüben und Ringelblumen und setzen Kartoffeln.“
Sie erzählt noch viel mehr, und die Kinder staunen. Ein eigener Garten. Toll!
„Dürfen wir uns auch Pflanzen aussuchen?“, fragt Anna begeistert.
Frau Schäfer nickt. „Ihr dürft Pflanzen mitbringen, wenn ihr mögt.“
„Schööön!“ Die Kinder freuen sich noch mehr und sie überlegen, was sie in ihrem Garten anpflanzen möchten. Den ganzen Vormittag arbeiten sie mit Spaten, Rechen und Harke und haben riesigen Spaß dabei. Auch an den nächsten Tagen sind sie nach Schulschluss voller Eifer am Pflanzen, Säen, Gießen und Pflegen. Ja, und am Nachgucken. Wann würden die ersten grünen Blättchen ihrer Aussaat aus der Erde linsen?
Mit den Radieschen dauert es nicht lange. Als die Kinder das erste Grün entdecken, tanzen sie einen Freudentanz. Bald würden sie ihre ersten eigenen Radieschen ernten. Eine tolle Sache. Juchhu!
Und sie freuen sich den ganzen Sommer auf neue Ernten, auf die Tomaten, Gurken, Bohnen, Erdbeeren, Sonnenblumen, Wicken, Margeriten, Kräuter, die sie angepflanzt oder ausgesät haben.
„Radieschen aus dem eigenen Garten schmecken tausend Mal besser als die vom Supermarkt“, sagte Robin stolz, als sie ihre ersten eigenen Radieschen ernten und essen konnten.
Viel zu schnell ist es Herbst und die Kinder der 2b ernten so viele Kartoffeln, dass sie sie alleine nicht aufessen können.
„Wir laden die anderen Klassen ein“, schlug eines der Kinder vor.
„Ja“, riefen die anderen begeistert. „Wir machen ein Herbstfest und alle bringen ihre Ernte aus ihren Schulgartenteilen mit.“
Reich gedeckt ist der Tisch, der am Tag des Erntefestes auf dem Schulhof steht. Andere Klassen haben Blumen, Möhren, Tomaten, Paprika, Zwiebeln, Kräuter und Salate – und natürlich auch Kartoffeln – beigesteuert.
Auf dem abgeernteten Kartoffelbeet lodert ein Kartoffelkrautfeuer und darin garen die besten Kartoffeln auf der Welt. So sagen es die Schüler, und wenn sie es so sagen, stimmt es auch. Das Festmahl schmeckt köstlich und alle essen sich satt. Es ist ein tolles Erntefest mit viel Spaß und Appetit – und mit vielen Plänen für das nächste Schulgartenjahr.
© Elke Bräunling
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Max, der Apfelbaumkletterer
Erntegeschichte für Kinder – Auf Bäume klettern und Früchte ernten macht großen Spaß
Am Wochenende fahren Mama, Papa und Max zu den Großeltern aufs Land. Äpfel wollen sie ernten helfen und Max freut sich riesig darauf. Es macht Spaß, die knackig roten und gelben Äpfel von den vielen alten Bäumen auf Opas Streuobstwiese zu pflücken.
Sorgfältig legt Max einen Apfel nach dem anderen in Körbe und Kisten. Er muss gut aufpassen, damit keine Frucht eine Delle bekommt.
Nur das Fallobst darf er werfen. Daraus macht Opa Apfelmost und Oma ihr berühmtes Apfelmus. Mit diesen Äpfeln, die auf dem Boden liegen, übt Max Zielwerfen. Das ist ein gutes Training, findet er, und so landet auch immer öfter ein Apfel im Ziel, das heißt im Fallobsteimer.
Auch ein gutes Training wäre das Klettern, doch Mama hat ihn gebeten, nicht auf der Leiter in den Baum hinauf zu klettern. Es sei zu gefährlich, sagt sie.
Das ist schade, und neidisch schaut Max zu, wie sich Opa und Papa hoch und höher in die Bäume hinauf hangeln. Dennoch können sie nicht alle Früchte pflücken. Die ganz oben in den dünnen, schwachen Zweigen müssen hängen bleiben.
„Ätsch!“, ruft Max. „Ihr seid zu schwer für die Bäume. Ich aber könnte…“
„Nein!“, sagt Papa. „Kommt nicht in Frage.“
„Da oben hängen aber die schönsten Äpfel“, sagt Max.
„Leider“, antwortet Opa. „Die Vögel werden sich darüber freuen. Du aber bleibst unten…“
„Was für eine Verschwendung!“, mault Max. „So viele tolle Äpfel für die paar Vögel. Ich könnte…“
„Hör auf zu quengeln, Max!“, schimpft Mama, und Oma murmelt:
„Nicht auszudenken, wenn du von der Leiter fallen würdest. Den Hals könntest du dir brechen. Nein, nein!“
„Ich falle nicht!“ Max ist beleidigt. Warum traut ihm keiner etwas zu? Es ist doch klar, dass er ganz vorsichtig sein und gut aufpassen würde. Phhh! Jetzt hat er keine Lust mehr, Äpfel in Körbe und Kisten zu legen und Falläpfel in Eimer zu werfen. Nööö! Sollen die doch ihren Kram alleine machen!
Schmollend zieht er los, schaut bei den Kühen auf der Nachbarweide vorbei, ärgert ein wenig die aufgeregten Gänse in ihrem Pferch und trödelt durchs Dorf. Überall in den Gärten sind die Leute bei der Ernte, und überall bleiben die Früchte in den oberen Zweigen hängen.
„Kann ich helfen?“, fragt er Opas Nachbarn, den Herrn Mayer.
„Gute Idee!“, freut sich der. „Sieh nur, die schönsten Äpfel da hoch oben kann ich nicht pflücken. Mein Bauch ist zu dick.“
„Kein Problem“, sagt Max. „Ich kann helfen. Nur die Leiter darf ich nicht nehmen, sagt Mama. Aber egal …“
Und ehe Herr Mayer dazu etwas sagen kann, klettert Max ohne Leiter – eins, zwei, drei – auf den Baum. Geschickt wie ein Äffchen hangelt er sich bis fast zu den höchsten Zweigen hinauf. Drei Körbe voller prächtiger Äpfel kann er dort oben für Nachbar Mayer pflücken. Und auch für die Vögel bleibt ganz oben in den Baumkronen noch etwas übrig.
„Du bist ein toller Bursche!“, lobt Herr Mayer. „Flink, geschickt, vorsichtig und mutig. Alle Achtung!“
Da ist Max so stolz, dass er fast kein Wort herausbekommt. Er nickt nur eifrig, als Herr Mayer ihn fragt, ob er ihm auch bei den weiteren vier Bäumen behilflich sein könne.
„Klardoch!“
Eifrig und flitzeflink füllt er Korb um Korb, und bald ist alles abgeerntet.
„Darf ich mir den jungen Mann auch einmal ausleihen?“, ruft es da vom Grundstück nebenan.
„Jaaa!“, antwortet Max, dem das Klettern mächtig Spaß macht.
„Aber vorsichtig sein“, mahnt Nachbar Mayer.
„Jadoch! Klardoch!“ Schon klettert Max in den nächsten Baum.
Den ganzen Nachmittag klettert er und klettert, und als seine Eltern und Großeltern von der Streuobstwiese nach Hause kommen, sind viele Apfelbäume in dem kleinen Dorf bis fast in die Spitzen abgeerntet.
„Das habt ihr davon“, ruft er stolz seiner Familie entgegen. „Kein einziges Mal bin ich runtergefallen! Ich habe gut aufgepasst!“ Er grinst. „Und das ganz ohne die gefährliche Leiter.“
© Elke Bräunling
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Ein Gespräch im Kürbisbeet

Kürbismärchen – Bald ist Erntezeit. Die Kürbisse im Gartenbeet warten schon darauf
„Suppe“, sagte der große, dicke Kürbis im Garten. „Sie machen aus uns Suppe.“
Die anderen Kürbisse im Beet sahen ihn verdutzt an. Suppe? Was war das nur wieder? Sicher eine dieser seltsamen Erfindungen der Menschen.
„Woher weißt du das?“, fragte einer.
„Ich habe es gehört. Gestern hat es die Frau des Gärtners gesagt“, antwortete der große, dicke Kürbis. Er klang besorgt und er war es auch. Der Gedanke, in einer Suppe zu enden, missfiel ihm.
„Was ist ‚Suppe‘?“, fragte einer seiner Kollegen. „Ist das etwas Nettes? Etwas Feines?“
„Hoho! Fein? Ja, so heißt es zuweilen.“ Der große, dicke Kürbis lachte auf. „Aber was glaubt ihr? Denkt ihr, die Menschen haben mit uns etwas Gutes im Sinn?“
„Sie mögen uns“, sagte einer der Kürbisse. „Seht nur, wie sanft sie uns behandeln und wie sorgsam sie uns pflegen.“
„Manchmal streichelt die große Menschenfrau über meinen Leib“, erzählte ein anderer. „Gut fühlt sich das an. Sehr gut sogar.“
„Ich mag es sehr, dieses Streicheln“, rief wieder ein anderer, und ein Dritter sprach von dem kleinen Mädchen, das nachmittags oft zu Besuch kam und ihm von langen Abenden mit viel Licht, Spaß und lachenden Gesichtern erzählte.
„Es liebt mich“, schloss er seinen Bericht. „Ich glaube, es wartet voller Sehnsucht darauf, dass ich groß und erwachsen bin und unser Kürbisbeet verlassen darf.“
„Und was, glaubst du, wird es dann mit dir machen?“, fragte einer der Kürbisse. Er war ein wenig neidisch, sah sein Leib doch weniger rund und glänzend aus.
„Es wird mich zu sich nehmen und lieben und es wird mich immer streicheln, streicheln, streicheln.“
„Hahaha!“ Da mussten alle Kürbisse herzlich lachen. „Hahaha!“
Laut ging es zu im Kürbisbeet. Fröhlich fast. Auch Mimi, die alte Katze, die sich im Schatten des Kürbislaubs zu einem Schläfchen zusammengerollt hatte, schmunzelte.
„Du Träumer!“, sagte sie zu dem Kürbis, der so gerne gestreichelt werden mochte. „Ich habe deine Kollegen vom Vorjahr gesehen. Gut erinnere ich mich an sie. In Hohlköpfe haben die Menschen sie verwandelt. Fröhliche und grimmig dreinblickende Gesichter haben sie in ihr Fleisch geschnitzt und es mit Lichtern beleuchtet. Überall standen diese Dinger im Herbst herum: in Gärten, auf Straßen und auf Fensterbrettern und am Boden vor den Türen. Hohoho! Gestreichelt oder gar geliebt hat die keiner. Es hat sich auch niemand mit ihnen unterhalten.“
„Hohlköpfe mit Gesichtern?“ Die Kürbisse waren entsetzt. „Warum?“
„Das ist ein Brauch für dunkle Herbstabende“, antwortete die Katze. „Mehr kann ich euch dazu auch nicht sagen.“
Es genügte. Das, was Katze Mimi erzählte, klang nicht erfreulich und es machte die Kürbisse sehr traurig.
„Was für ein Ende!“, riefen sie, und einer fragte:
„Ist das der Sinn unseres Lebens?“
„Ihr lebt“, antwortete die Katze. „Das allein macht Sinn. Alles, was lebt, macht Sinn.“
„Auch wenn wir bald als Hohlköpfe enden?“, fragte einer der Kürbisse.
„Falsch!“ Der große, dicke Kürbis lachte wieder. „Wir werden zu Suppe. Nur wenige von uns haben die Ehre, von diesem Schicksal verschont zu bleiben. Und um ehrlich zu sein: Ich würde es da bevorzugen, auf das Ende in einer Suppe zu verzichten und als Hohlkopf die Welt ein wenig länger erleben zu dürfen.“
Darauf sagte keiner mehr etwas. Man musste erst einmal gründlich nachdenken. Außerdem war ja noch etwas Zeit bis zur Ernte. Zeit zum Leben.
© Elke Bräunling
Hier kannst du dir diese Geschichte, erzählt von Regina Meier zu Verl, anhören. Viel Spaß!
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Herbstfest bei Onkel Willibald
Erntegeschichte für Kinder – Trauben ernten nennt man auch Weinlese und die kann ganz schön lustig sein
Eines Tages waren Lena und ich bei Onkel Willibald eingeladen. Zum ‚Herbsten‘.
„’Herbsten‘?“, hatte Lena gefragt. „Was ist das? Wieder so eine komische Onkel-Willibald-Idee?“
„Keine Ahnung“, meinte ich. „Vielleicht ist es ein Fest.“
Lena war begeistert. „Ein Fest“, rief sie. „Das ist gut.“
Und wir freuten uns auf Onkel Willibalds Herbstfest.
Am nächsten Morgen schmiss uns Papa schon früh aus dem Bett. Es war noch dunkel draußen, und das Aufstehen fiel uns schwer.
„Ein komisches Fest“, schimpfte Lena. „Fängt das so früh an?“
Ich wunderte mich auch. Papa hatte uns nämlich alte Jeans, dicke Pullis und Gummistiefel zum Anziehen bereit gelegt. Und die ollen Garten-Anoraks sollten wir auch mitnehmen. Also, festliche Klamotten waren das ja nicht! Misstrauisch sahen wir Papa an, doch der grinste.
„Lasst euch überraschen“, sagte er nur. Und das taten wir dann auch.
Verschlafen hockten wir im Auto und starrten in die dämmrige Nebellandschaft hinaus. Kalt sah es aus und nass. So richtig herbstungemütlich. Onkel Willibalds Fest würde doch nicht im Freien stattfinden?
Ich überlegte hin und her, doch als wir bei Onkel Willibald eintrafen, hatte ich noch immer keine Idee, was für ein Fest dieses ‚Herbsten‘ sein könnte.
Bei Onkel Willibald ging es hoch her, obwohl es noch so früh am Morgen war. Viele Leute tummelten sich auf dem Hof: Männer, Frauen und Kinder. Sie trugen alte Jacken und Hosen, Kopftücher oder Mützen und Gummistiefel und in den Händen hielten sie Eimer. Alle waren sie sehr fröhlich. Waren die denn nicht müde? Ja, und froren sie nicht?
Zitternd drückten wir uns an Papa. Das sollte ein Fest sein?
„Ha-ha-hat dieses ‚Herbsten‘-Fest schon angefangen?“, fragte Lena, und ich jammerte:
„Mir ist so kalt!“
Papa aber lachte uns aus. „Ihr Stadthasen“, sagte er. „Ich dachte, ihr mögt das Landleben kennen lernen.“
„Aber nicht so früh“, murmelte Lena.
„Und nicht so kalt“, fügte ich hinzu und wäre am liebsten wieder ins Auto eingestiegen, doch da kam Onkel Willibald auf uns zu.
„Schön, dass ihr gekommen seid“, rief er und nahm uns in seine breiten Onkel-Willibald-Arme. „Freut ihr euch aufs ‚Herbsten‘?“
Wir nickten zaghaft, und – schwupp – hob uns Onkel Willibald hoch und setzte uns auf einen Erntewagen, auf dem große Plastikwannen standen.
Da s
aßen wir nun zwischen diesen Dingern, und ehe wir protestieren konnten, fuhr der Traktor mit unserem Erntewagen über den Hof. Wie das holperte! Und wo war Papa? Er würde uns doch nicht alleine lassen? Ängstlich sahen wir uns um.
Da entdeckte ich ihn. Er saß neben Onkel Willibald auf dem Traktor und winkte uns zu. Eigentlich wollte ich ‚Anhalten‘ und ‚Ich-will-hier-runter‘ rufen, doch da tauchten plötzlich zwei rot bemützte Köpfe auf der anderen Seite des Wagens auf.
„Ihh, Mädchen!“, sagte der eine Kopf, und der andere begrüßte uns mit einem verächtlichen „Oh je, zwei Zimperliesen!“
Ich merkte, wie ich wütend wurde. „Blödmänner!“, brüllte ich los.
Auch Lena schien sich zu ärgern. „Oh je“, rief sie, „das sind ja Rotkopfgartenzwerge!“
Da bekam der eine Rotkopfgartenzwerg ein rotes Wutgesicht, und das sah so lustig aus, dass wir loslachten.
Zuerst blickten uns die beiden Rotköpfe erstaunt an, dann aber mussten sie auch lachen.
„Bei euch geht’s ja fröhlich zu“, rief Papa zu uns herüber.
„Ist ja auch ein Fest“, kicherten wir zurück, und die Rotkopfzwerge, die sich uns als Fabian und Robin vorgestellt hatten, lachten mit.
Vom Lachen war uns warm geworden, und als unser Wagen die Weinberge erreicht hatte, fingen wir an, uns auf dieses Herbsten, was immer es auch sein mochte, zu freuen.
In den Weinbergen hingen dicke Nebelfetzen. Neugierig blickten wir uns um. Hinter uns ratterten noch zwei Erntewagen, auf denen die Leute aus Onkel Willibalds Hof zwischen Eimer und Kübel gedrängt saßen. Sie lachten und schwatzten, und ihre Stimmen drangen wie Geisterstimmen durch die Nebelsuppe.
„Wohin fahren wir eigentlich“, fragte ich schließlich, und ich dachte an ein Herbstfest mit Würstchenbude, Mohrenköpfen und Festzelt.
„Ist nicht mehr weit“, meinte Klaus und deutete in das Nebelgrau. „Bis zum Grafenwingert da oben.“
„Gibt es da einen echten Grafen?“, fragte Lena, und sie hatte dabei nun bestimmt ein Grafenfest mit Kerzenlicht, Rüschenkleidern und einem festlich gedeckten Tisch vor Augen.
„Blödsinn“, grummelte Robin. „Der Wingert liegt am ‚Grafenberg‘. Ist doch logisch, oder?“
„Logisch.“ Wir nickten und warteten ab. Unser Wagen holperte langsam bergan, und wir wurden oft heftig hin- und hergerüttelt.
Endlich waren wir am Grafenwingert angekommen. An einer hohen Steinmauer hielt Onkel Willibald an, und Papa hob uns vom Wagen.
„Und nun?“, fragte ich und sah mich nach irgendetwas Festlichem um.
„Jetzt geht’s da hinauf.“ Papa deutete auf den steilen Weinberghang, den man nur über eine schmale Steintreppe betreten konnte.
Bevor wir darauf etwas antworten konnten, hatte uns Onkel Willibald schon Eimer und kleine Scheren in die Hände gedrückt und zeigte auf eine Rebzeile.
„Das ist eure Wingertzeile“, erklärte er Lena, Fabian, Robin und mir. „Aber aufgepasst. Die Scheren sind sehr scharf. Schneidet euch nicht in die Finger!“
„Fein“, meinte Lena und starrte auf die Schere. „Wir haben eine Wingertzeile. Die gehört jetzt uns. Ist das nicht toll? Aber was fangen wir damit an? Und wozu brauchen wir Eimer und Schere?“
„Quatschkopf“, wieherte Robin, und auch Papa und Onkel Willibald grinsten.
„Die Wingertzeile gehört doch nicht uns! Wir sollen hier nur die Trauben ernten. Das ist alles.“
„Ach so“, sagte Lena. „Und den Grafen, den gibt es hier wohl auch nicht?“
Onkel Willibald schüttelte bedauernd den Kopf. „Mit einem Grafen kann ich leider nicht dienen. Aber nachher gibt es ein schönes Frühstück.“
„Auch nicht schlecht“, murmelte Lena und kletterte zu unserer Wingertzeile hinauf. Wir folgten ihr und begannen, die Trauben von den Weinstöcken zu schneiden.
„Wir müssen uns beeilen“, erklärte Robin. „Wer als erster seine Zeile geerntet hat, gewinnt einen Preis.“
„Das ist aber unfair“, meinte Lena. „Die Erwachsenen sind bestimmt viel schneller.“
„Aber wir sind zu viert!“
Das stimmte. Lena begann sich schon auf den Preis zu freuen, den wir gewinnen würden. Auch uns hatte der Ehrgeiz gepackt, und wir beeilten uns.
Das Traubenernten machte Spaß. Schnell waren unsere Eimer gefüllt, und wir riefen: „Trauben! Heyhey!“ Schon kam einer der Hottenträger und schüttete die Trauben aus unseren Eimern in die große Hotte, die er wie einen Rucksack auf dem Rücken trug. Weil wir so schnell waren, riefen wir oft „Trauben!“ und „Heyhey!“, und die Hottenträger wunderten sich ganz schön. „Ihr seid aber schnell!“ sagte einer.
„Wir wollen ja auch den ersten Preis gewinnen“, erklärte Lena.
„Hoho“, lachte der Hottenträger, „was wollt ihr denn mit einer Flasche Wein anfangen?“
„Wein?“, fragte Lena entsetzt. „Ich will keinen Wein. Meinen Preis möchte ich haben. Sonst nichts.“
Der Hottenträger aber lachte nur und stieg zum Erntewagen hinunter, wo er die Trauben kopfüber aus der Hotte in eine der großen Wannen schüttete.
Lena aber war nachdenklich geworden. Und langsamer. „Also“, meinte sie schließlich, „wegen einer doofen Flasche Wein brauchen wir uns eigentlich nicht so zu beeilen. Die Finger tun mir weh, und müde bin ich auch.“
Ich nickte. Meine Hände schmerzten auch von der ungewohnten Arbeit. Außerdem waren sie kalt und klebrig vom Saft der Trauben. Prüfend blickte ich hangaufwärts. „Ist es noch weit?“
„Es geht“, meinte Fabian. „Die Hälfte haben wir bestimmt geschafft.“
„Erst die Hälfte?“, rief Lena entsetzt. „Und das alles wegen einer Flasche Wein?“ Sie setzte sich auf den Boden. „Also, ich habe keine Lust mehr.“
„Ich auch nicht“, stimmte ich zu und wollte auch streiken.
„Ihr seid ja doch Zimperliesen!“, sagte Robin enttäuscht.
Zimperliese? Nein, eine Zimperliese wollte ich nicht sein. „Los“, sagte ich zu Lena und zog sie vom Boden hoch. „Wir werden diesen blöden Preis gewinnen.“
„Jawohl“, rief Lena. „Von wegen Zimperliesen!“
Na ja, so einfach war es dann doch nicht. Wir mühten uns sehr ab. Trotzdem kamen unsere ‚Verfolger‘ immer näher.
„Das schaffen wir nie.“ Meine Beine fühlten sich schwer an.
„Ihr seid aber fleißig“, sagte da auf einmal eine Stimme. Es war die Onkel-Willibald-Stimme, und sie klang sehr lieb. „Ihr wollt wohl als erste oben sein, hm?“
Wir nickten müde, und Onkel Willibald meinte: „Da habt ihr euch aber viel vorgenommen.“ Er nahm seine Schere und erntete eilig Traube um Traube von unseren Rebstöcken. Jetzt füllten sich unsere Eimer wieder schnell. „Ein bisschen schummeln“, grinste er, „ist manchmal erlaubt, oder?“
„Und wie!“, rief Lena und schnitt eine Traube ab. „Schon wieder eine und noch eine und noch eine …, oh ja, wir werden es schaffen!“
„Ja“, riefen wir. Die Müdigkeit war vergessen. Wir beeilten uns und füllten einen Eimer nach dem anderen. Wir waren so beschäftigt, dass wir nicht mehr nachsahen, wie weit das Ziel noch entfernt lag. Wir merkten auch nicht, dass es sonnig warm wurde. Nein, wir kämpften uns verbissen von Rebstock zu Rebstock, und auf einmal war keiner mehr da. Verdutzt blickten wir auf. Juchhu, wir hatten es geschafft. Wir waren als erste oben angelangt.
„Juchhu!“, riefen wir. „Wir haben gewonnen. Juchu.“
Erst dann sahen wir den Jeep am Wegrand mit dem Frühstückstisch voller Leckerbissen, die so köstlich dufteten, dass wir alle ersten Preise der Welt vergaßen. Ich merkte, wie hungrig ich war, und wie hungrige Wölfe füllten wir unsere Teller mit diesem köstlichen Herbstfrühstück. Dann machten wir es uns zum Essen am sonnenwarmen Wegrand gemütlich, blickten auf den Weinberg unter uns, und warteten auf die anderen, die nach und nach aus dem Nebel auftauchten.
„Gut, dass wir uns so beeilt haben“, sagte Lena und kaute an einem Leberwurstbrot. „Sonst hätten uns die anderen alles weggefuttert.“
„Na ja“, meinte Klaus. „ist doch genug da. Soviel kannst du gar nicht essen.“
„Wetten?“, fragte Lena. Sie holte sich noch ein Käsebrot und eine Erbsensuppe, eine Gurke und eine Bratwurst, Kartoffelsalat und Apfelkuchen und kaute und kaute und kaute.
„Wann endlich“, fragte sie auf einmal schmatzend, „beginnt denn nun dieses ‚Herbsten‘-Fest?
Da mussten alle lachen, und Lena war beleidigt. Sie holte sich noch ein Leberwurstbrot, biss herzhaft hinein und meinte: „Dann feiern wir eben nicht. Mir gefällt’s hier auch so sehr gut.“
© Elke Bräunling
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🥔 Ein besonderer Schultag – Die Kartoffelernte
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🌱 Aufbruch im Kartoffelfeld
🌰 Köstlichkeit in dunkler Erde
☀️ Vom Korn zum Mehl zum Brot
🌿 Oma erzählt das Märchen von der Kornähre
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