Auf dem Land gehen die Uhren langsamer

Kindergeschichte – Wie das ist mit der Zeit, die manchmal so schnell vergehen kann

Sage keiner, auf dem Land sei nichts los. Viel ist da los. Sehr viel sogar. Und sehr viel können Pia und Pit dazu erzählen. Sie sind nämlich oft mit Opa bei Großtante Luise zu Gast, und die lebt in einem kleinen Dorf am anderen Ende des Waldes. Irgendwie ist alles anders hier und es gibt immer etwas zu bestaunen, wenn die Geschwister die Großtante besuchen.
Opa sagt oft, man könne meinen, die Zeit hätte hier für ein paar Jahre angehalten und ein ‚Atempäuschen’ gemacht. Und seither würde sich die Welt hinter dem großen Wald ein bisschen langsamer um die Sonne drehen. Eine verrückte Vorstellung, die den Menschen, die hier leben, sicher nicht gefallen würde. Oder gerade doch? Man weiß es nicht.
In vielen Dingen ist das Leben in Großtante Luises Dorf oft noch so, wie es schon gewesen ist zu Zeiten, in denen die Großtante eine junge Frau oder ein Kind war. Altmodisch irgendwie, ruhiger, langsamer, doch nicht unbedingt schlechter.
„Auf dem Land gehen die Uhren langsamer“, sagt Opa. „Und ein bisschen ist es hier auch noch wie früher. Das wünsche ich mir zumindest.“
„Echt?“, fragt Pia und sie versucht sich vorzustellen, wie es sich mit Uhren, die langsamer gehen, verhalten könnte.
Pit aber schüttelt entschieden den Kopf. „Das stimmt nicht“, sagt er. „Schneller gehen die Uhren hier. Viel schneller.“ Er nickt heftig. „Wenn wir spielen oder auf dem Feld helfen oder beim Holderbauern Traktor fahren dürfen, rennt die Zeit und es ist viel zu schnell Abend.“
„Stimmt“, sagt Pia. „Der Tag bei Großtante Luise ist immer kürzer als andere Tage es sind. Kaum sind wir angekommen, müssen wir auch schon wieder heim fahren. Es bleibt gerade mal ein bisschen Zeit für Kuchen und Kakao oder für einen Besuch bei unseren Freunden hier. Und das ist viel zu wenig Zeit.“
Opa stutzt. Dann lächelt er. „Wenn ihr es so seht, hm, nun ja, so muss ich euch recht geben.“ Er stutzt wieder, blickt erst zum Waldrand, wo sich die Abendsonne hinter den Baumwipfeln verabschiedet, und dann auf die Uhr.
„Meine Güte. Es ist schon so spät! Längst müssten wir unterwegs sein. Oh! Oh! Das wird wieder Ärger mit euren Eltern geben. Oh! Oh! Wo ist nur die Zeit geblieben?“
„Aber jetzt kann ich noch nicht heimfahren“, ruft Pia. „Ich muss nämlich zum Holderbauern gehen, das neue Kälbchen ansehen. Ganz fest versprochen habe ich ihm das. Bitte Opa!“ Sie drückt Opa einen schnellen Kuss auf die Backe. „Wir sind doch auch gerade erst angekommen, oder? Na ja, fast gerade.“
Pit sieht Opa an und grinst. „Siehst du“, sagt er. „Die Zeit bleibt hier nicht stehen. Sie rast uns davon und wir merken es nicht einmal.“
Da seufzt Opa. „Und wer bringt nun euren Eltern bei, dass wir uns wieder einmal vertrödelt haben?“
„Du. Wer sonst?“, ruft Pia, und schon ist sie verschwunden. Zum Holderbauernhof.
„Vielleicht kannst du ja die Zeit noch ein bisschen länger anhalten“, schlägt Pit vor. „Ich gehe jetzt nämlich zur alten Martha. Sie hat echte Bubenspatzen gebacken und die schmecken so lecker.“
„Stimmt, sie bleibt hier nicht stehen, die Zeit“, brummelt Opa, während er nach seinem Handy sucht. „Aber irgendwie tut sie es dann doch und das ist gut so.“

© Elke Bräunling

* “Bubenspatzen” oder “Bubenspitzle” nennt man im Badischen die Schupfnudeln, eine sehr leckere Mehlspeise (vergleichbar mit den italienischen Gnocchi). Man isst gerne Sauerkraut dazu und Badisches Schäufele, oder als süße Variante Apfelmus.


Landleben, Bildquelle © PIRO4D/pixabay

 

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