Wann ist Frühling?

Tiergeschichte im späten Winter – Der hungrige kleine Spatz sucht den Frühling

„Wann ist Frühling?“, fragt der kleine Spatz.
Er sitzt im Apfelbaum auf dem Ast gleich neben dem Vogelhaus. Es ist leer. Die Gartenvögel haben all das Futter, das Oma Klein am Morgen gebracht hat, aufgegessen. Der Bauch des kleinen Spatzen ist … auch leer. Er hat am Morgen nämlich keine Zeit gehabt, gleich zur Futterstelle zu fliegen wie sonst auch. Nein, er hat etwas Wichtigeres vorgehabt und nun ist er hungrig. Sehr. Und er sagt es auch.
„Warum kommst du auch so spät, kleiner Spatz?“, fragt das Eichhörnchen, das unter ihm im Schnee hockt und vergebens versucht, den Boden aufzugraben, um dort seine Vorräte hervorzuholen. „Was kann im Winter wichtiger sein als Nahrung zu suchen?“
„Das ist es ja!“, schimpft der kleine Spatz. „Es ist nicht mehr Winter. Nein, Frühling ist’s. Die Menschenfrau hat es gesagt.“
Das Eichhörnchen kichert. „Frühling? Jetzt? Sieh dich um! Schnee! Überall liegt noch immer dieser kalte, unfreundliche Schnee. Er versperrt mir den Weg zu meiner Vorratshöhle hier neben der großen Wurzel. Das passiert nur, wenn es Winter ist.“
„Die Haseln blühen“, brummt der kleine Spatz. „Die Weiden auch und unter Blättern habe ich kleine weiße und gelbe Blümchen gesehen. Frühlingsblümchen hat Oma Klein sie genannt.“
Hm! Das Eichhörnchen staunt. „In der Tat! Blümchen gibt es im Winter keine. Solange die Bienen noch schlafen, werden keine Blumen blühen.“
„Sagt das auch Oma Klein?“, fragt der kleine Spatz.
Das Eichhörnchen nickt. „Oma Klein ist eine sehr kluge Menschenfrau. Und wenn sie sagt, es ist bald Frühling, dann sollten wir ihr glauben. Nur: Ich sehe ihn nicht. Ich kann ihn auch nicht riechen, nicht schmecken und nicht fühlen. Im Gegensatz zum Winter.“
Der kleine Spatz seufzt. „Eben!“, murrt er. „Rate, warum ich am Morgen keine Zeit zum Essen gefunden habe!“
„Und warum, kleiner Spatz?“, fragt das Eichhörnchen.
„Weil ich ihn gesucht habe, den Frühling. Überall habe ich nachgesehen. In den Gärten, auf der Wiese, in den Weinbergen. Sogar bis zum Wald bin ich geflogen. Vergebens. Überall hockt nur der Winter, dieser scheußliche, kalte Kerl, und lässt es sich gut gehen. Ich glaube, er hat mich ausgelacht.“
„Hm. Hm. Und nun? Was können wir tun?“
„Warten!“ Der kleine Spatz schließt die Augen. „Warten und hungern und … Da, Achtung! Da kommt ein Mensch. Versteck dich!“
Doch zu spät. Oma Klein kommt schon um die Ecke. Sie hinkt ein bisschen in dem tiefen Schnee.
„Na ihr beiden!“, ruft sie ihnen zu. „Sucht ihr auch den Frühling? Ich habe so große Sehnsucht nach Sonnenwärme und Blütendüften und Frühlingsfreude.“
Sie sieht den kleinen Spatz an und das Eichhörnchen und muss lachen. „Nein, eure hungrigen Augen suchen etwas anderes, wie ich sehe. Ihr seid am Morgen wohl zu kurz gekommen? Wartet, ich bringe euch Futter.“
Und das tut Oma Klein auch. Feine Körner und Nüsse bringt sie, die sie für den kleinen Spatz ins Vogelhaus und für das Eichhörnchen in eine schneefreie Kuhle unter den Apfelbaum legt.
„Guten Appetit, ihr Lieben!“, sagt sie fröhlich. „Und wenn ihr gesättigt seid, suchen wir ihn gemeinsam, den Frühling. Er lauert schon, ich weiß es genau. Auf dem Kalender ist er nämlich bald da.“
Was ein Kalender war, wissen der Spatz und das Eichhörnchen zwar nicht, aber mit einem satten Bauch lässt es sich bestimmt besser nach dem Frühling suchen.

© Elke Bräunling

Auch hier warten Spatzen auf den Frühling und der ist schon sehr nah: Spatzengeflüster


Wann ist Frühling?, Bildquelle © iemlee/pixabay

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