Kirsten wehrt sich
Mutgeschichte für Kinder – Stark sein auf dem Schulweg und nicht nur da
Kirsten mag nicht gerne alleine von der Schule nach Hause gehen. Wegen Paule, der oft am Wegrand steht, mit den Fäusten droht und ”Wegzoll!” brüllt. Schon oft hat Kirsten aus Angst vor Prügel ihr letztes Taschengeld an Paule abgegeben. So auch heute. Mit einer großen Wut im Bauch kommt sie nach Hause. Zwei Euro hat Paule ihr abgeknöpft.
”Das ist nicht fair”, schimpft sie. ”Bloß weil ich kleiner und schwächer bin als dieser gemeine Kerl!”
Verärgert blättert sie in der Zeitung, die auf dem Küchentisch liegt. WEN-DO, DIE NEUE SELBSTVERTEIDIGUNG! steht da.
Kirsten kichert. WEN-DO klingt komisch. Doch dann denkt sie an Paule, und sie betrachtet sich die Bilder zu den Selbstverteidigungsübungen genauer. Ganz schön schwierig sieht das aus. Kirsten seufzt.
”Das schaffe ich nie!”
Nach einigem Zögern sieht sie sich die erste Übung aber doch genauer an. Kiyi heißt sie. Kirsten kichert wieder.
”Kiyi! Hihi. Klingt wie Kiwi. Ulkig. Mal sehen, was man da machen muss.” Aufmerksam studiert Kirsten die Anleitung, ja, und was sie da liest, gefällt ihr: ”Kiyi”, steht da, ”ist ein lauter Schrei, der wie ein gewaltiges Brüllen klingt. Und zwar so: ´Hohh!´”
”Hohh!”, versucht es Kirsten zaghaft.
Oje. Halbtot lachen würde sich Paule, wenn er sie so hörte.
”Hohh!”, versucht sie es noch einmal, doch nicht einmal Kater Leo öffnet ein Auge.
”So´n Quatsch”, murmelt Kirsten. Sie will die Zeitung in die Ecke pfeffern, dann liest sie doch weiter:
”Sie müssen beim Brüllen dem Gegner in die Augen sehen und an eine Sache denken, die Sie sehr wütend macht. Brüllen sie dann laut los. Einfach nur an WUT denken, und dann klappt es auch mit dem Brüllen.”
Hm. Kirsten denkt an Paules Muskelpakete, und auf einmal spürt sie, wie ihre Wut wächst.
”Wie kann dieser Blödmann es wagen, schwächere Kinder zu bedrohen! Hohh!”, brüllt Kirsten. Laut und schrill: ”Ohh! Hohh! Hohh!”
Das klappt schon ganz gut, und Kirsten fängt an, das ”Kiwi”-Brüllen zu mögen. Lange noch übt sie dieses ”Wuthaben” und ”Hohh”-Rufen.
Einige Tage später wartet Paule wieder auf Kirsten.
”Na, was haste denn heute zu bieten?”, zischelt er mit einem dämlichen Grinsen im Gesicht.
Kirsten fürchtet sich, doch als sie dieses Grinsen in Paules Gesicht sieht, spürt sie, wie die Wut in ihrem Bauch groß und größer wird. So groß, dass sie an Angst nicht mehr denken kann. Da ist nur noch Wut, Wut, Wut …! Und mit dieser Wut starrt Kirsten in Paules Grinsgesicht. Sie starrt und starrt, und gerade, als Paule einen Schritt auf sie zugehen will, brüllt sie mit aller Kraft:
”HOHH!” Und noch einmal: ”HOHH! HOHH! HOHH!”
Paule hält inne. Erschreckt starrt er Kirsten an.
”Hä, was…?” will er fragen, doch ein weiteres lautes ”HOHH!” lässt ihn verstummen.
”HOHH!” schreit Kirsten noch einmal. ”Und nun lass mich in Ruhe, du Eierkopf! HOHH!”
”Hä? Hohh?” Während Paule sich noch wundert, stolziert Kirsten auf ihn zu. ”Ich kann jetzt nämlich Kiwi!”, ruft sie ihm im Vorbeigehen zu und reckt die Fäuste in Kampfesstellung, so wie sie es in den Zeitungsbildern gesehen hat. ”Pass bloß auf! HOHH!”
Und mit hoch erhobenem Kopf geht Kirsten nach Hause.
Klar, dass alle in der Schule von dieser Begegnung erfahren und lachen. Auch klar, dass Paule die Lust am Wegzollfordern vergangen ist. Ja, und ganz klar ist, dass Kirsten von nun an ”Kiwi” heißt und vor Typen wie Paule keine Angst mehr hat. Na ja, fast keine …
© Elke Bräunling
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