Kirschen für alle
Kirschenmärchen – Einmal wollte die Kirschfee ihre Kirschen nicht mit den Menschen teilen
Es war ein gutes Kirschenjahr. Die Bäume hingen so voller Kirschen, dass sich ihre Zweige fast bis zum Boden neigten. Lauter kleine, rote Pünktchen im Kirschbaumgrün.
Die Menschen freuten sich. “Das wird ein feines Kirschenjahr!”, sagten sie und sie dachten an leckere Kirschtorten, Kirschmarmelade, Kirschkompott, an Kirschsaft und Kirschwein.
Voller Ungeduld warteten sie, dass sich die Bäckchen der Früchte rot färbten.
“Die tiefroten schmecken am besten. Saftig sind sie und süß”, sagte ein Bauer. “Wir sollten mit der Ernte warten.”
Und weil alle im Dorf so dachten, warteten auch alle mit dem Ernten.
“Wie schön!”, rief die Kirschfee und ihre Wangen färbten sich auch kirschrot. Vor Freude. Sie liebte ihre Kirschenkinder nämlich sehr und es fiel ihr in jedem Jahr schwer, sie an die Menschen zu verlieren. Auch jetzt saß sie in ihrem Lieblingskirschbaum oben am Hang und blickte auf ihre Bäume mit den Kirschen.
“Wie schön ihr seid!”, sagte sie mit einem Seufzer. “Wie prachtvoll und lebendig. Gar nicht hergeben möchte ich euch. Nicht auszudenken, dass ihr in hungrigen Menschenmägen landen werdet. Nein, das soll nicht sein.”
Und ohne weiter nachzudenken, befahl sie den Kirschbäumen: “Stoppt das Reifen! Ich wünsche, dass eure Früchte ihre grüne Farbe behalten. Hört ihr?”
Die Bäume hörten ihre Worte.
“Das geht nicht”, stöhnten sie. “Wir tragen zu viele Früchte. Sie werden immer schwerer. Lange können wir diese Last nicht mehr halten. Unsere Zweige werden brechen und die Früchte werden faulen.”
“Und die Menschen”, fügte einer der Bäume hinzu, “werden sehr traurig sein. Traurige Menschengesichter aber mag niemand leiden.”
“Stimmt!”, riefen seine Baumkollegen und ein Kirschbaum fügte hinzu:
“Wir freuen uns, wenn unsere süßen Kirschen Freude bringen, hörst du?”
Laut hallten die Rufe der Bäume zur Kirschfee herauf und mit jedem Ruf färbten sich deren Wangen röter und röter. Vor Scham dieses Mal.
© Elke Bräunling
Kirschen für alle, Bildquelle © congerdesign/pixabay
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