Die Reise von Leo, dem Löwenzahnsamen

Frühlingsgeschichte für Kinder – Erwachsenwerden erfordert Mut und man muss vertrauen können

Schön war es, bei Mama Löwenzahn zu leben. Der kleine Löwenzahnsame, der den Namen Leo trug, fühlte sich sehr wohl an seinem Platz auf der sonnengelben Löwenzahnblüte, die am Rande einer Wiese am Fuße des großen weißen Steins ihre Heimat hatte. Doch etwas war nun anders geworden in den letzten Tagen. Die Löwenzahnblüte war zur Pusteblume geworden und die Samenkinder hatten ein weißes Haarkleid bekommen, das im Licht der Sonne silbern strahlte. Schön sah das aus und alle freuten sich. Vor allem der Wind und die Kinder.
„Kinder sind die besten Pusteblumenpuster“, sagte Mama Löwenzahn. „Man könnte sich freuen, würde ein Kind meine Blüte pflücken, die Backen weit aufplustern und euch Samenkinder – pffffft – von meinem Stängel fort in alle Richtungen blasen. Wichtig wäre das! Ihr würdet einen feinen neuen Platz zum Leben finden.“
„Au ja!“ „Mega!“ „Super!“ „Voll toll!“, riefen Leos Geschwister und sie konnten es nicht mehr abwarten, von einem Kind in die Welt hinaus gepustet zu werden.
Nur Leo freute sich nicht. Ihm war das unheimlich. Was, wenn er in einem Bach landete oder auf einer dieser Blechkisten, die die Menschen Auto nannten, oder gar im Maul einer dieser großen Kühe, die den ganzen Tag über die Wiese schlenderten und eine Blüte nach der anderen auffraßen? Warum konnte er nicht bei Mama Löwenzahn bleiben? Hier war er sicher.
„Ich will nicht weggepustet werden“, jammerte da Leni, seine Samenschwester, die neben ihm ihren Platz auf der Blüte hatte. „Ich mag nicht alleine zu sein.”
Da lachten die anderen Samenkinder und riefen: „Feigling! Hier kannst du nichts von der Welt sehen!“
Ehrlich gesagt genügte Leo diese kleine Wiesenwelt nahe des großen weißen Steins. Insgeheim fürchtete er sich wie Leni vor einem Kind, das ihn von seiner Heimat wegpusten würde. Doch die Zeit verging und niemand kam zum Pusten.
Ich habe Glück!, dachte Leo, doch irgendwie fühlte er sich trotzdem immer weniger wohl an seinem Platz auf Mama Löwenzahns Blütenteller. Sein Samenfuß fühlte sich auf einmal so locker an, als gehöre er nicht mehr hierher. Es kostete Kraft, sich bei Mama Löwenzahn festzuhalten.
„Ich glaube, es geht los!“, riefen seine Samengeschwister. „Bald sind wir frei und dürfen in die Welt hinaus fliegen. Juchhu!“
„Juchhu! Jawohl! Beim nächsten Windstoß machen wir uns auf die Reise! Schwestern und Brüder, seid ihr bereit?“
„Ja! Ja! Ja! Lass uns ins Leben fliegen!“, freuten sich die Samenkinder.
„Nein! Nein! Nein!“, rief Leni. „Ich habe Angst!“
Nein! Nein! Nein!, betete Leo leise. Ich habe auch Angst, doch das verrate ich nicht. Auslachen würden sie mich.
Und weil er noch mehr Angst davor hatte, ausgelacht und Feigling genannt zu werden, ließ er beim nächsten Windstoß los und flog – huiiiiii – seinen Samengeschwistern hinterher.  So schnell war es gegangen, dass er darüber ganz vergaß, seine Angst mitzunehmen. Die blieb bei Mama Löwenzahn und Leni zurück und Leo legte sich gemütlich in die Arme des Windes. Der trug ihn weit fort über Gänseblümchen, Gräser, Kleeblüten und viele viele Löwenzahnblüten hinweg. Huiiiii! Was für ein Abenteuer!
„Huiii!“, rief Leo. „Fliegen ist schön. So schön! Ich möchte immer fliegen. Hörst du, Wind? Ohhhh! Nein, halt ein! Ich will fliegen, hörst du, flieeeeeegen!“
Zu spät. Der Wind musste neuen Atem holen und der kleine Leo trudelte wie ein Fallschirmflieger auf den Boden. Er landete im Fell von Katze Minna, die in der Sonne lag und schlief.
„Halt! Haalt!“, rief Leo. „Das ist falsch. Hier kann ich nicht bleiben, hörst du, Wind? Hole mich zurück!“
Doch der Wind war weiter gezogen und Leo war alleine nun. Nein, nicht alleine. Da war ja Minna. Aber hier konnte er doch nicht bleiben! Eine Katze war kein Platz für einen Samen, der eine neue Löwenzahnblume werden wollte. Erde brauchte er, um sich darin einzugraben. Frische, duftende Frühlingserde. Was tun?
Leo war traurig. Und müde. Und weil er so müde war, schlief er irgendwann ein. Er schlief und schlief und merkte nicht, dass die Sonne untergegangen war und Minna sich auf den Heimweg machte. Er merkte auch nicht, dass sie sich unterwegs noch dringend säubern und den Tag aus ihrem Fell herausputzen musste und deshalb genau bei dem großen weißen Stein eine Pause einlegte und sich heftig schüttelte. Alles, was ihr dichtes, schwarzes Katzenfell an diesem Tag unterwegs aufgefangen hatte, stieg in einer großen Staubwolke in die Luft auf. Die verharrte dort einen Moment und sank dann zu Boden.
Auch Leo hatte in der Staubwolke gesteckt. Sanft landete er nun genau neben seiner Samenschwester Leni und Mama Löwenzahn.
„Hallo, Leo! Ich freue mich, dass du zurückgekommen bist!“, hörte er Lenis Stimme rufen und da erwachte er aus seinem Schlaf.
Oh, wie freute er sich, dass Katze Minna ihn nach Hause gebracht hatte! Hier wollte er nun für immer bleiben! Und er hatte so viel zu erzählen von seiner Reise in die Welt. Später.

© Elke Bräunling

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Gute Reise!, Bildquelle © PTNorbert/pixabay

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