Die Schule, das Heute und das Morgen
Kindergeschichte zum Schulanfang – Meike kann den ersten Schultag kaum erwarten
Meike kommt in die Schule. Endlich! Die ganzen Ferien wartet sie schon auf diesen Tag! Sie ist so ungeduldig, dass sie manchmal glaubt, die Sommertage würden gar nicht zu Ende gehen. Erst am Ende des Sommers nämlich würde die Schule beginnen. Dieses Warten ist ähnlich grausam wie das Warten auf die Bescherung an Heiligabend. Eigentlich noch gemeiner, findet Maike.
„Wann ist erster Schultag“, fragt sie deshalb immer wieder einmal.
„Nach dem letzten Ferientag zum Ende des Sommers“, antwortet Papa.
Meike seufzt. „So lange noch? Warum muss der Sommer erst vorbei sein?“
Da seufzt Papa auch. „Warum habe ich eine so ungeduldige Tochter? Jedes Sache hat ihre Zeit. Genieße das Heute! Wer nur an das Morgen denkt, vergisst das wahre Leben. Das findet nämlich im Jetzt statt. Hier und heute.“
Jetzt seufzt Meike ganz arg laut. Sie kann es gar nicht leiden, wenn Papa solche Sätze sagt, die kein Mensch versteht. Das Heute und das Morgen und das wahre Leben. So etwas können echt nur die Erwachsenen sagen, wenn ihnen keine bessere Antwort auf ganz wichtige Fragen einfällt. Dabei ist die Frage, wann endlich die Schule beginnt, doch eine sehr wichtige. Da ist das Heute genauso egal wie das Morgen und überhaupt. Meike will das nicht verstehen.
„Lernt man das auch in der Schule?“, fragt sie und verzieht das Gesicht zu einer Schnute. So komisches Zeugs möchte sie nämlich nicht lernen. Es ist langweilig und Schule soll nie langweilig sein.
Papa schüttelt den Kopf. „Das lernt man nur im Leben. Vielleicht. Manche Menschen begreifen es nie.“
„Dann will ich es auch nicht begreifen“, sagt Meike. „Ich will Spaß haben und Schule macht Spaß. Hoffentlich gehen die Ferien bald zu Ende.“
„Blödsinn!“ Meikes Bruder Fabian, der nach den Ferien die Schule wechseln und aufs Gymnasium gehen wird, tippt sich an die Stirn.
„Wie kann man sich auf die Schule freuen? Echt, ich hoffe, die Ferien gehen nie zu Ende.“
„Du bist gemein!“ Meike will auf ihren Bruder losgehen.
„Und du bist eine Streberin“, spottet Fabian. „Wer geht schon gerne in die Schule?“
„Ich!“, trumpft Meike auf. „Weil ich ganz viel lernen möchte. Damit ich bald genauso gut lesen und schreiben und rechnen kann wie du. Nein, besser. Ganz viel lernen möchte ich für die Schule.“
„Streberin!“, ruft Fabian wieder.
Und Papa lacht. „Non scholae, sed vitae discimus“, murmelt er. „Das ist lateinisch und heißt: „Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir.“
Meike stöhnt. Jetzt fängt Papa schon wieder mit seinem ‚Fürs Leben lernen‘ an. Wer will das wissen? Fabian nicht. Der stöhnt nämlich auch.
„Dann lass uns jetzt zum Schwimmen gehen“, sagt er. „Das ist im Heute und man kann dabei auch ganz viel lernen. Das Heute soll man nämlich genießen. Und du kommst mit, Papa!“
Jetzt ist es Papa, der stöhnt. Aber wer will das wissen?
© Elke Bräunling
Die Schule, das Damals und das Heute: Uropa erzählt von früher, als er ein kleiner Junge war und in die Schule ging
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