Uroma Marie und der regenfaule Frühling
Frühlingsgeschichte für Kinder – Warum der Frühling keinen Regen schicken wollte
„Der Frühling! Wo ist der Frühling?“, rief Uroma Marie mit ärgerlich klingender Stimme. Mit der Gieskanne in der Hand hastete sie durch den Garten und goss die Blumen- und Kräuterbeete. „Sie vertrocknen alle! Man muss ihnen helfen!“
Sie rieb sich die Schweißperlen von der Stirn und schüttelte den Kopf.
„Ich glaube, der Sommer hat den Frühling überholt. Nach der langen Winterkälte zieht nun gleich die Sommerwärme über das Land. Das ist nicht in Ordnung. Nein, das ist überhaupt nicht in Ordnung. Nach dem Winter kommt der Frühling und nicht der Sommer mit Hitze, Sonnenglut und Trockenheit. Nein, nein, das ist nicht gut. Und kein Wölkchen ist am Himmel zu entdecken. Nur die Sonne. Eine glühend heiße Sommersonne. Und das zum Maibeginn!“
Sie leerte die Gießkanne über das Salatkräuterbeet, dann hob sie die Hände zum Himmel und rief:
„Zeige dich, Frühling, fauler Kerl! Wir haben dich so sehr herbeigesehnt. Der Winter war lang, nass und kalt und unsere Sehnsucht nach dir ist groß gewesen. Wie sehr haben wir alle auf dich gewartet! Wir, die Menschen, die Tiere, die Bäume, Blumen, Kräuter, Früchte und Gräser. Und du? Was machst du? Ha! Du versteckst dich vor uns und schickst uns den Sommer, diesen heißen Kerl, an deiner statt. Faul bist du, Frühling. Hörst du?“
Uroma Marie schüttelte den Kopf und in diesem Schütteln lag Missbilligung. „Dich interessiert nicht, wie es uns ergeht …“
„Doch!“, hallte da eine Stimme von einem der Bäume im Nachbargarten zu ihr herüber. „Und wie sehr es mich interessiert!“ Sie klang aufgeregt zuerst, die Stimme, dann trauriger und leiser: „Ich … ich wollte doch nur, dass es euch allen gut geht. Gerade weil mein Kollege, der geschätzte Herr Winter, euch so lange beherrscht hatte und …“
Uroma Marie aber ließ ihn nicht ausreden.
„Was bitte willst du uns weismachen, Frühling? Du denkst daran, wegen des langen Winters in diesem Jahr auszubleiben? Deinen Platz willst du dem Sommer überlassen? Denkst du, es gefällt den Pflanzen, wenn sie jetzt schon gegen die Hitze und Trockenheit des Sommers kämpfen müssen? Und die Tiere, die ihre Nester bauen und für Nachwuchs sorgen. Wie, sag mir, sollen sie dies tun an heißen Tagen wie diesen? Von mir rede ich gar nicht. Ich bin nicht wichtig, wenngleich auch ich dir zu gerne erzählen würde, wie ich mich fühle in diesen Tagen ohne dich. Ich … ich …“
Uroma Marie langte sich an den Kopf, wankte. Ihr war schwindelig geworden und schnell lehnte sie sich an den Stamm des Walnussbaums. Dort stand sie und atmete langsam ganz tief ein und aus und ein und …
Der Frühling, der auf einer Schönwetterwolke lag und lauschte, erschrak. So war das also. Aber er hatte den Menschen, Tieren und Pflanzen doch nur einen Gefallen tun wollen!
„So geht das nicht!“, murmelte er. Dann sprang er von seiner Wolke aufs Land hinab, mitten in Uroma Maries Garten hinein.
Schon wehte ein kühleres Lüftchen und die Sonne zog ihre heißen Strahlen ein bisschen mehr ein. Und das war auch gut so. Der Frühling, der nun doch ein richtiger Frühling sein wollte, hörte das Aufatmen der Bäume, der Kräuter, der Blumen, der Wiesengräser … und auch das Aufatmen von Uroma Marie. Und da atmete auch er auf.
„Ich werde doch noch gebraucht“, murmelte er. „Und herbeigesehnt. Gut ist das. Oh, und wie gut das ist.“
Dann machte er sich an die Arbeit. Es gab auch noch viel für ihn zu tun.
© Elke Bräunling
Frühling, Bildquelle © silviarita/pixabay