Der Ritter auf der Autobahn
Rittergeschichte für Kinder – Auch im Autobahnstau kann man richtig aufregende Abenteuer erleben
Als Pia und Pit mit ihren Eltern unterwegs sind, stehen sie plötzlich auf der Autobahn in einem langen Stau. Wie langweilig! Während Papa schimpft und Mama die Augen zu einem Schläfchen schließt, blicken Pia und Pit zu der Burgruine am Berghang rechts der Autobahn hinüber.
„Sieht toll aus!“, meint Pia und Pit murmelt versonnen:
„Da wäre ich jetzt gerne. Vielleicht spukt dort ein alter Ritter herum.“
Da! Auf einmal sitzt ein seltsamer Kerl zwischen ihnen auf der Rückbank. Er hat lange, verfilzte Haare und trägt zu einem Kettenhemd hoch geschnürte Lederschuhe. Witzig sieht er aus und Pia und Pit müssen lachen.
„Bist du ein Staugeist?“, fragt Pit.
„Nein“, kichert Pia. „Der Burggeist ist er. Hihi.“
„Ph!“ Der kleine Kerl blickt sie ärgerlich an.
„Erst ruft ihr mich und dann lacht ihr über mich, Drago von Rietberg, den Knappen von Ritter Götz von Scharfeneck.“
Er deutet auf die Burg. „Dort habe ich gelebt. Äh, ja, jedenfalls bis ich mit meinem Ritter in die Schlacht gezogen bin. In einem großen Heer, das von Ritter Roland, einem Sohn König Karls, den ihr ‚Karl den Großen’ nennt, angeführt wurde.“
„Echt?“ Die Geschwister sehen den Fremden ungläubig an. „Wo hast du denn gekämpft?“
„In Spanien“, brummt Drago. „Gegen die Sarazenen sind wir gezogen. Um die Grenzen des Reiches von König Karl zu sichern.“
„Boah! Toll! Erzähle!“
Die Kinder sehen Drago neugierig an und der erzählt von dem weiten Marsch nach Süden durch dichte, unwegsame Wälder, heimtückische Sümpfe, kahle Berglandschaften und über reißende Flüsse. Sechs Wochen hatte die Reise gedauert und als sie am Ziel angekommen waren, mussten sie schwere Kämpfe ausfechten, bis sie die Sarazenen weit nach Spanien bis zum Fluss Ebro zurückdrängen konnten. Es war ein langer, schwerer Kampf, bis ein Friedensangebot die Kämpfe beendete.
Drago schweigt.
„Und dann?“, fragt Pit. „Habt ihr nach eurer Rückkehr toll gefeiert?“
„Ha! Von wegen.“ Drago lacht bitter auf. „Nach Hause sind wir nie mehr gelangt. Mein Ritter gehörte zu Rolands engem Gefolge, was eine große Ehre war. Wir ritten am Ende des Zugs und sicherten das Heer vor Feinden ab. Ich war stolz dabei zu sein. Das könnt ihr mir glauben. Dann aber …“ Seine Stimme stockt. „Ja, dann durchquerten wir eine Schlucht in den Pyrenäenbergen, als plötzlich von allen Seiten Pfeile ansirrten und Felsbrocken die steilen Wände herabrollten und unsere Leute erschlugen. Wir waren in eine Falle baskischer Bergbewohner geraten. Sie hielten sich nicht an das Friedensangebot, diese Kerle. Wir waren verloren. Jede Hoffnung auf Hilfe war vergebens. Als König Karl durch Boten von unserer Not erfuhr, war es zu spät. Als er mit seinen Leuten zur Schlucht kam, lebte von uns keiner mehr. Das war im Jahr 778.“
Pit starrt Drago entsetzt an. „Dann bist du ja wirklich ein Geist.“
„Echt?“, ruft Pia wieder, doch sie ruft es dieses Mal so laut, dass Mama zusammenzuckt und Papa sich zu ihnen umdreht.
Da erschrickt Pia noch mehr. Was würde Papa nun sagen?
Doch Papa sagt nichts. Drago nämlich sitzt nicht mehr zwischen ihnen auf der Rückbank.
„Hast du geträumt, Pia?“, fragt Papa. „Gleich geht’s weiter. Der Stau löst sich auf.“
„Echt?“, sagt Pia zum dritten Mal.
Pit aber murmelt so etwas wie „Schade!“ und blickt zur Burg hinüber. Heller Rauch dringt für einen kurzen Augenblick aus dem Turmfenster und Pit ist, als winke er ihm zu, der Rauch. Oder ist es Drago, der sich von ihnen verabschiedet?
© Elke Bräunling
Auch in dieser Geschichte findest du eine “unheimliche” Begegnung mit einem alten Burgbewohner aus der Ritterzeit: Drachenkind und die alte Burg
Auf der Autobahn, Bildquelle © Gellinger/pixabay