Das Abendlied der Tiere

Fröhliche Tiergeschichte für Klein und Groß – Musik kribbelt im Bauch und ist fast so schön wie Essen

Eine bunte Tierschar saß auf dem Mäuerchen vor dem Haus und lauschte voller Andacht dem Klavierspiel, das durch den Garten bis weit über die Wiese hallte. Es war ein schönes Spiel, so schön, dass einem fast die Tränen kommen konnten. So sagte es jedenfalls die kleine Waldmaus, die vom Klang der Musik angelockt aus ihrer Höhle am Waldrand bis hierher gekommen war. Und sie wischte sich verstohlen gleich eine Träne und noch eine und noch eine von der Backe.
„Schön!“, sagte sie. „So so schön!“
„Was ist das?“, fiepte eine kleine Wiesenmaus.
„Was?“, brummte der Maulwurf.
„Das in den Ohren!“, rief die Wiesenmaus. Sie war ganz aufgeregt nun. „So viel schöne Dinge haben mir meine Ohren schon lange nicht mehr erzählt. Nein, eigentlich noch nie.“
„Das ist Musik!“, krächzte der kleine Rabe, der über ihnen auf dem Ast des alten Apfelbaums neben der Amselmama und Familie Meise hockte und lauschte. „Mit Musik, da kenne ich mich aus, bin ich doch selbst ein großer Musikant. Besser gesagt, ein großer Sänger.“
„Huch!“ Amselmama schickte einen lauten Kiekser in den dämmernden Abend hinaus. „Du nennst das, was du machst, Musik? Oha! Und nein, Sänger sind wir, wir Amseln. Wir sind die besten Sänger hier. Die allerbesten.“
Der Rabe öffnete mit empörter Miene den Schnabel und wollte gerade protestieren, doch die kleine Wiesenmaus war schneller.
„Und was, bitte, ist Musik?“, fragte sie. „Ist es etwas zum Essen?“
„Oh ja“, rief der Hase. „Für die Ohren! Lecker süß schmeckt sie.“
Lecker süß? Für die Ohren?
Die kleine Wiesenmaus fasste sich gleich an ihre Öhrchen und dachte nach. Dann musste sie lachen. „Was erzählst du da? Ohren können doch nicht essen.“
„Nein, aber hören“, sagte die kleine Waldmaus. „Und das ist gerade fast so schön wie essen.“
„Und hier tut es so wohl“, murmelte die Hasenmama und strich sich mit den Pfoten über den Bauch. „Es kribbelt so schön.“
„Kribbeln? Hm. Das kenne ich auch noch nicht.“ Der Maulwurf fasste sich an den Bauch, überlegte. „Stimmt. Diese – äh – Musik hockt nun auch in meinem Bauch und ja, es gefällt mir.“
Alle Tiere nickten. Hier zu sitzen und den fremden Klängen zu lauschen, tat gut und es war wunderschön.
Und so saßen sie mit gespitzten Ohren und geschlossenen Augen auf dem Mäuerchen und streichelten sich über die Bäuche und lauschten, lauschten, lauschten. Ihre Gesichter waren verzückt und ein bisschen auch dieser kleinen Abendwelt entrückt.
„Ich will auch so schöne Musik machen!“, flüsterte die kleine Waldmaus schließlich.
„Ich auch“, sagte der Maulwurf.
Und dann sagten alle „Ich auch!“. Selbst der Rabe, der „große Sänger“, stimmte mit ein.
„Singen wir doch einfach unser Lied zum Klang dieser schönen Musik“, schlug er vor. „Jeder für sich.“
Eine großartige Idee! Die Tiere wünschten sich nichts lieber als auch so fein zu musizieren und dem Abend ihr Lied zu singen. Und das taten sie dann auch. Jeder auf seine Weise.
Die kleinen Mäuse fiepten, der Maulwurf donnerte, der Hase kiekte, die Meisen trällerten, die Amseln jubilierten in den höchsten Tonen und der Rabe, der große Sänger, krächzte sich die Seele aus dem Leib. Was für ein kunterbunter Abendchor!
„Schön!“, jubelte die kleine Waldmaus. „Musik ist ein so schönes Gefühl!“
Schön, dachte auch der Mensch, der mit geschlossenen Augen im Haus am Klavier saß und die Melodien, die in seiner Seele schlummerten, spielte.
Und klang seine Musik heute Abend nicht besonders zauberhaft?
Zauberhaft? Er hielt inne und lauschte und dann hörte er den Gesang der Tiere.
Er lächelte und musste sich nun auch über den Bauch reiben, weil sich diese andere Musik so besonders wohlig gut anfühlte.
„Danke!“, rief er. „Euer Lied ist wunderschön! Ich danke euch.“
Im gleichen Moment wurde es still draußen im Garten bei der Mauer. Mucksmäuschenstill.
Dann ein Kichern, ein Rascheln und – wusch – waren alle Tiere verschwunden.
Es war auch Zeit, der Tag hatte sich schlafen gelegt und die ersten Sterne funkelten am Himmel.

© Elke Bräunling

– Schließe die Augen und lausche nach draußen! Bestimmt kannst du auch die Musik der Tiere hören, den Gesang der Vögel, das Miauen der Katzen, das Bellen der Hunde, das Zirpen der Grillen, das Fiepen, Summen, Brummen, Summen, oh, es gibt so viele Lieder.
– Welche Tiere hörst du am Morgen, welche am Mittag und welche besonders am Abend? Sind es immer die gleichen Lieder?
– Magst du ein Bild von den singenden Tieren, die auf der Gartenmauer sitzen, malen?

 


Abendlied, Bildquelle © MabelAmber/pixabay

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