Als der kleine Spatz im Winter ein Frühlingslied sang

Tiermärchen zum Ende des Winters – Ein winterliches Spatzenlied für das Schneeglöckchen

„Was willst du denn hier? Ist schon Frühling?“
Neugierig setzte sich der kleine Spatz vor das Schneeglöckchen, das als Erstes seine Blüte im winterlichen Garten öffnete.
„Ich weiß es nicht“, antwortete das Schneeglöckchen. „Es fühlt sich so an, ja, und es duftet auch so.“
„Wie … so?“, erkundigte sich der kleine Spatz.
„Nun ja, der Wind streicht frühlingshaft über meine Blätter und die Luft riecht süß nach Blütenträumen und frischer Erde. Wie Frühling eben duftet.“
Der kleine Spatz schnupperte. „Wohl wahr. Es duftet frühlingssüß und kalt ist mir auch nicht. Aber der Winter ist noch nicht alt und keiner von meinen Spatzenkollegen denkt an Nestbau und Liebeslieder.“
„Das ist schade. Ich habe mich so sehr auf eure Gesänge gefreut, als ich in meiner Zwiebel in der dunklen Erde ruhte.“
„Und deshalb bist du nun zu früh?“, erkundigte sich der kleine Spatz.
„Was bedeutet ‘früh’?“, fragte das frühe Schneeglöckchen.
Hm. Ja. Was bedeutete ‚früh‘? Wie konnte er dies dem zarten Frühlingsblümchen, das zu einem Winterblümchen geworden war, erklären? Lange dachte der kleine Spatz nach.
„Zu früh ist, wenn man etwas tut, das nicht sein kann, weil die Zeit dazu noch nicht da ist“, versuchte er es schließlich, „und das ist ziemlich kompliziert.“
„Falsch! Du bist kompliziert.“ Das Schneeglöckchen kicherte. „Wie soll man dies verstehen? Aber egal. Ich bin nun mal da und du bist es auch. Also kannst du mir auch ein Frühlingslied vorsingen. Wo liegt das Problem?“
Ein Problem sah der kleine Spatz nicht. Er wusste auch nicht genau, was das war. Und dass er immer singen konnte und dass es dafür keine falsche Zeit gab, wusste er auch. Warum also nicht ein Lied singen für das junge Schneeglöckchen, das zu früh sein wollte, auch wenn es im Winter war?
Und ehe er es sich noch anders überlegen konnte, hob er das Köpfchen und trällerte sein allerschönstes Frühlingslied. Jedenfalls dachte er, es könne ein allerschönstes Lied sein, doch jeder weiß, dass der Gesang der Spatzen nicht lieblich und auch nicht besonders schön klingt. Aber laut. So laut, dass der kleine Spatz die anderen Tiere im Garten und auch die Blumenzwiebeln in der Erde wach rüttelte. Er schreckte aber auch den Winter auf. Und der war gar nicht einverstanden mit den frühen Frühlingsklängen und er …
Na ja, du kannst dir denken, wie eilig der Winter noch einmal zurückkehrte und wie schnell er den Spatz in seinen Winterplatz unters Scheunendach scheuchte und das Schneeglöckchen mit einer zarten Neuschneeschicht bedeckte. Er war stärker als die Frühlingsboten. Noch.

© Elke Bräunling

Winterspatz, Bildquelle © DavidReed/pixabay

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