Es gibt keine Traumgeister
Fröhliche Mutmachgeschichte über einen angeberischen Traumgeist und ein mutiges Kind, das sich nicht ängstigen lässt
Eines Nachts stand ein schaurig heulender Traumgeist im Kinderzimmer.
“Ich bin der schrecklichste Traumgeist auf der Welt!”, heulte er los. “Huahuaaa!”
“Es gibt keine Geister”, antwortete das Kind und gähnte. “Das hat mein Papa gesagt.”
“Oha!“, fistelte der Traumgeist mit grausig klingender Stimme. “Auch Väter irren sich manchmal. Sieh mich an!”
“Mein Papa nicht.” Das Kind öffnete nicht einmal die Augen.
Der Traumgeist wusste nicht, wie ihm geschah. So etwas war ihm noch nie passiert. Sonst fürchteten sich die Kinder vor ihm! Und nun? Sollte es sich das gefallen lassen? Schließlich war es der grausigste Traumgeist auf der Welt!
“Ich kann mich in einen kopflosen Ritter verwandeln”, drohte er und begann sogleich, als Ritter ohne Kopf herumzuklirren.
“Ich war auch einmal ein Ritter. An Fasching. Hat Spaß gemacht”, murmelte das Kind und schlief weiter.
“Dann komme ich als böser Drache”, fauchte der Geist. “Tausend Meter weit speie ich meine Feuerstöße aus.”
“Einen Drachen habe ich schon”, sagte das Kind. “Der fliegt ganz weit im Wind. Kannst du auch fliegen?”
“Ohaohaoho!” Der Traumgeist begann sich zu ärgern. “Aber eine Gifthexe”, grummelte er, “hast du nicht, oder?”
“Hexen sammeln Kräuter und helfen kranken Menschen.”
“Nicht alle Hexen sind gut.”
“Mein Papa hat gesagt…”
“Dein Papa, dein Papa…!” Der Traumgeist dachte erregt nach, wie es das Kind doch noch mit einem bösen Traum erschrecken konnte. “Wie wäre es mit einem Saurier?“, fragte er schließlich lahm. “Auffressen wird er dich. Mit Haut und Haaren.”
“Saurier fressen nur Blätter”, lachte das Kind. “Außerdem sind die längst ausgestorben.”
Der Traumgeist war den Tränen nahe. “Hat das auch dein Papa gesagt?“, fragte er vorsichtig.
“Das haben wir schon im Kindergarten gelernt.” Das Kind setzte sich auf. “Soll ich dir eine Sauriergeschichte erzählen?”
“Nei-ei-ein!” Der Traumgeist war sehr nervös geworden, rupfte an seinen Haaren, klapperte mit den Zähnen und trommelte auf seinem Bauch herum.
“Du solltest jetzt schlafen”, sagte da das Kind zu dem schrecklichsten Traumgeist der Welt. “Schlafen ist gesund, und morgen wird es dir bestimmt wieder besser gehen.”
“Ha-ha-hat das auch dein Papa gesagt?“, stammelte der Traumgeist.
“Nein, meine Mama”, antwortete das Kind, drehte sich um und schlief so tief ein, dass es mit nichts mehr aufzuwecken war.
© Elke Bräunling
Das Traummonster und das Kind, gelesen 1998 von Aart Veder, Bühne Darmstadt
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