Der Überraschungskuchen

Fröhliche Familiengeschichte – Vom Kuchen, der immer weniger wurde

Ein Kuchen stand auf dem Tisch. Er war noch warm und duftete nach Vanille, Veilchen und Beeren.
Der kleine Jonathan war der erste, der ihn entdeckte.
„Ein Überraschungskuchen“, rief er und steckte den Zeigefinger in den Kuchen. Dort, wo man es nicht sehen konnte.
„Schmeckt er?“, fragte sein Bruder Sebastian und brach sich ein Stück von der Stelle ab, in die Jonathan seinen Finger gebohrt hatte. „Hmm. Toll!“
„Passt auf!“, warnte Katharina. „Das gibt Ärger mit der Tante.“ Sie sah ihre Brüder an. „Kann ich auch ein klitzekleines Stück haben?“
Papa verzog das Gesicht. „Oh je! Ihr wisst nicht, was ihr da tut.“ Er schnupperte … und bohrte seinen großen Papafinger in das nicht mehr ganz so kleine Kuchenloch. „Ahhh! Köstlich.“
Mama kam in die Küche und erschrak. „Finger weg!“, schimpfte sie. „Man bohrt nicht mit Fingern im Kuchen herum.“ Sie beugte sich über den Kuchen. „Tante Emilie wird böse mit uns sein. Keiner nascht ungestraft von …“ Und wie verzaubert brach sie ein Stück Kuchen ab und verzehrte es.
Plötzlich hatten alle Kuchen in der Hand und schnabulierten. Er schmeckte aber auch so gut.
Dann stand nur noch ein halber Kuchen auf dem Tisch. Oh je! Was würde die Großtante sagen? Und wo steckte sie eigentlich? War sie nicht zuhause?
Nein. War sie nicht. Nach dem Backen hatte Großtante Emilie im Garten Nachbarin Schmitt getroffen. Die lud sie zu Kaffee und Aprikosenkuchen ein. Und als sie spät am Abend nach drei Stück Aprikosenkuchen, vier Tassen Kaffee, zwei Käsebroten und fünf Gläschen Johannisbeerlikör nach Hause kam, war sie pappsatt. Und müde. Vom vielen Erzählen und Essen und ein bisschen auch vom Likör. Den Überraschungskuchen hatte sie für heute vergessen.
Später in der Nacht schlichen sich die Kinder, Papa und Mama zum Naschen immer wieder mal in die Küche, und dann war der Kuchen aufgegessen. Nur ein paar Brösel lagen noch da, und die leckte Kater Friedhelm auf. Am nächsten Morgen stand auf dem Tisch ein leerer Kuchenteller. Kein einziger Krümel war übrig geblieben.
„Komisch“, murmelte Großtante Emilie. „Ich war der Meinung, ich hätte gestern einen Kuchen gebacken. So etwas aber auch!“
Sie kramte in ihren Erinnerungen. Was sie noch ganz genau wusste, war der Besuch bei Nachbarin Schmitt. Sie langte sich an den schmerzenden Kopf und stöhnte:
„Nie wieder Johannisbeerlikör!“
Dann holte sie Backschüssel, Zucker, Eier, Mehl und noch ein paar wichtige Zutaten und machte sich daran, einen Überraschungskuchen zu backen.

© Elke Bräunling


Überraschungskuchen, Bildquelle © gefrorene_wand/pixabay

 

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