Der kleine Spatz und die Futter-“Ernte”

Spatzenmärchen für Kinder – Von Futterplätzen und Getreideernte, Amseln und Wintergedanken

„Nanu!“, murmelte der kleine Spatz, als er sich an diesem sonnigen Spätsommermorgen auf seinen Lieblingsplatz, den dicken Ast im alten Apfelbaum, setzte. „Es ist so still hier heute. Keiner da zum Streiten?“
Er lugte in das Futterhäuschen, das neben ihm am Ast baumelte und gefüllt war mit duftenden Nüssen, Rosinen, Hafer- und Sonnenblumenkernen.
„Hungrig ist wohl auch keiner? So viele feine Kerne warten hier auf meine Spatzenkollegen und mich und keinen interessiert’s? Seltsam ist das. Was ist hier los?“
Und weil niemand antwortete, rief er lauter nun noch einmal: „Hey, Freunde, wo seid ihr alle?“
„Sie sind aufs Feld geflogen“, piepte die kleine Blaumeise. Mit elegantem Schwung landete sie im Futterhäuschen und pickte sich eine Rosine heraus. „Der Bauer erntet leckere Kerne dort und unsere Kollegen helfen ihm dabei.“
„Oh, es ist Kerne-Erntezeit?“ Der kleine Spatz horchte auf. „Da gibt es viel zu holen.“
Die Meise kicherte. „Findest du nicht, wir haben es hier einfacher?“
Sie pickte sich einen Haferkern, dann einen Sonnenblumenkern und eine Nuss, kaute und kicherte wieder.
„Stimmt.“ Der kleine Spatz musste lachen. „Warum soll man sich anstrengen und der großen lauten Maschine des Bauern hinterher fliegen, wenn man hier bequem im Baum sitzen und naschen kann. Und man muss sich nicht mit den anderen wegen jedem Kern raufen. Da haben wir es hier doch sehr angenehm, nicht wahr?“
„Genau.“ Die Blaumeise nickte. „Auf dem Feld findest du auch nicht solch süße ‘Nussdinger’.” Sie pickte eine Rosine auf, kaute, schluckte, stöhnte leise. „Hm, wie sehr ich diese köstlichen ‘Nüsschen’ liebe! Man findet sie nur selten und muss immer mit den anderen um sie streiten. Wir Meisen lieben sie über alles.“
„Nicht nur ihr Meisen! Weg da mit dir!“ Mit einem Plumps landete die Amsel, die in der Wildrosenhecke ihr Nest hatte, im Futterhäuschen. „Ihr habt genug gefuttert. Dieser Platz gehört nun mir.“
„Immer du!“, heulte die Meise auf und landete mit Schwung neben dem kleinen Spatzen auf dem Ast. „Du glaubst nicht, wie oft sie mich hier schon verjagt hat. Bloß weil sie größer ist und stärker.“
Der kleine Spatz nickte. Er kannte die dreiste Amsel. Die hatte vor nichts Furcht, nicht einmal vor den Menschen. Und hungrig war die!
„Ich glaube, sie kann immer essen“, brummte er.
„Dabei sollte sie längst auf dem großen Winterweg sein wie ihre Kollegen“, empörte sich die Blaumeise. „Dort in der warmen Welt kann sie sich besser sattessen als hier.“
„Winterweg?“ Der kleine Spatz horchte auf. „Ist es denn schon so weit?“
„Aber ja, aber ja. Fast alle Amseln sind unterwegs. Nur sie nicht.“
Mit grimmiger Miene starrte sie die Amsel an, die im Futterhäuschen saß und aß und aß.
„Ich werde auch nicht wegziehen“, nuschelte diese zwischen zwei Bissen. „Nein, wir bleiben, mein Gatte und ich. In diesem Garten gibt es zu jeder Zeit im Jahr genug Nahrung. Und nun stört mich nicht länger. Ich habe zu tun!“
Und eifrig kaute sie einen weiteren Kern, einen weiteren, einen weiteren …
Der kleine Spatz und die Blaumeise sahen sich an.
„Also werden wir auch im Winter hier mit ihr um unser Futter kämpfen müssen“, sagte die Meise schließlich. „Keine gute Nachricht ist das. Wirklich gar keine gute.“
Der Spatz nickte und ein banges Gefühl legte sich auf seine Seele.
„So ist das mit den bequemen Futterplätzen, die dann doch nicht so sehr bequem sind“, murmelte er. „Ich schätze, der harte Winter wird nun noch ein bisschen härter für uns sein. Man wird sich daran gewöhnen.“
Dann flog er los zu den Feldern hinüber, um doch ein paar Getreidekörner zu erhaschen. Mit seinen Spatzenkollegen dort stritt er sich nämlich lieber.

© Elke Bräunling


Spatzenhunger, Bildquelle © Carola68/pixabay

 

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