Igelmädchen ist traurig

Tiergeschichte über Freundschaften – Wer gute Freunde hat, muss nicht traurig sein

„Ich fühle mich nicht froh. Gar nicht.“ Das Igelmädchen kauert auf dem großen weißen Stein, der die Gräser und Blüten auf der Wiese überragt, und starrt zum Wald hinüber. „Was ist nur los mit mir?“
„Hast du schlecht geträumt?“, fragt der Schmetterling.
„Bist du traurig?“, erkundigt sich die Schnecke.
„Brauchst du Hilfe?“, will die Ameise wissen.
„Wenn ich das nur wüsste!“, antwortet das Igelmädchen. „Schlecht geträumt habe ich nicht, ich habe tief geschlafen.“
„Ja, was ist es dann?“ Die kleine Wiesenmaus trippelt zu ihm herüber und hockt sich vor seine Füße. „Ich finde, du siehst … traurig aus.“
Das Igelmädchen seufzt. Es ist ein tiefer, schmerzlicher Seufzer. „Traurig. Ja, ich glaube, das bin ich. Und das tut weh. Hier!“ Es deutet auf seinen Kopf und auf seine Brust und auf seinen Bauch und überall hin.
„Das kommt mir bekannt vor“, sagt die Schnecke mitleidig. „In solchen Fällen ziehe ich mich für ein paar Stunden in mein Haus zurück und dann geht es mir wieder besser.“
„Ich trage kein Haus mit mir“, antwortet das Igelmädchen. „Vielleicht ist das genau das Problem.“
„Was? Dass du kein Haus hast?“, fiept die Maus. „Ich hab doch auch keines. Ich habe mir meinen sicheren Ort in den Wiesenboden gegraben.“
„Und unser Haus ist der Ameisenhaufen dort drüben“, ergänzt die Ameise. „Aber dort geht es gar nicht ruhig zu, das kannst du mir glauben.“
Da schluchzt das Igelmädchen auf. „Ei-eigentlich brauche ich kein Haus und auch diese Ruhe will ich nicht haben. Es ist ja immer so ruhig, wenn ich nachts auf Futtersuche gehe. Da ist keiner, der mit mir lacht und spricht und … und überhaupt.“
„Verstehe!“ Die Maus nickt und kratzt sich hinter den Öhrchen. „Du brauchst einen Freund, einen, der auch nachts für dich da ist, stimmt’s?“
„Wir Igel sind Einzelgänger!“ Das Igelmädchen wischt sich die Tränen aus den Augen und richtet sich auf.
„Wer sagt das?“, staunt der Schmetterling.
Die anderen Tiere starren das Igelmädchen mit weit aufgerissenen Augen an.
„Opa Igel hat es gesagt und der weiß alles. Wir haben keine Freunde und ich habe auch keine. Außer euch natürlich. Ihr seid meine besten und liebsten Freunde, doch das ist etwas anderes.“
„Ein Einzelgänger? Das ist doch Blödsinn“, wispert die kleine Maus. „Jeder braucht einen Freund, der für ihn da ist! Und wir sind immer da! Wir sind deine Freunde, das hast du gerade selbst gesagt.“
„Meinst du?“ Unsicher blickt das Igelmädchen die Maus an. „Auch wenn ihr keine Igel seid? Ich habe gedacht, dass nur Igel meine Freunde sein können.“
Es kommt nicht weiter damit zu erzählen, was es sich über das Alleinesein überlegt hat, denn es wird von einem lauten Gelächter der Freunde unterbrochen. Und dann muss es mitlachen und all das Traurigsein ist verschwunden.
Wie gut es doch ist, Freunde zu haben, denkt es. Freunde, die mit einem lachen und reden und die auch mal Dinge erklären und Sorgen zerstreuen.

© Elke Bräunling


Traurig?, Bildquelle © Ralphs_Fotos/pixabay

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