Das Osterei vom letzten Jahr
Fröhliche Frühlingsgeschichte – Warum Oma Schmitt über den Staub unter ihrem Sofa lachte
„Nanu? Was ist das denn?“
Neugierig beugte sich Oma Schmitt unter die Sofakante. Beim Staubsaugen hatte sie mehr zufällig gespürt, dass da etwas unterm Sofa liegen musste. Was mochte es wohl sein? Und überhaupt: Wie konnte ein Gegenstand dort hinunter geraten? Unter Betten, Sofas und Schränken hatte nichts zu liegen. Das war unordentlich. Genau so hatte es ihr ihre Mutter damals beigebracht und genau darauf hatte sie ein Leben lang geachtet. Unordnung, Staub und Schmutz wiesen auf einen liederlichen Charakter hin. Genau so hatte es Mama gesagt und daran hatte sie immer denken müssen, wenn sie einmal zu müde von ihrer Arbeit im Büro der Stadtverwaltung gewesen war und an den Abenden oder Wochenenden keine Lust hatte, ihre Wohnung zu säubern und auf Vordermann zu bringen. Wenn sie dann aber müde – oder auch ein bisschen faul – bei einer Zeitschriftenlektüre am Tisch saß, hatte ihr das schlechte Gewissen kaum eine Ruhe gelassen und sie hatte zum Putztuch, Wischlappen, Staubsauger und zur Abfalltüte gegriffen. Nur in den letzten Jahren, eigentlich seit der Rente, war sie nachlässiger geworden und hatte immer wieder mal fünfe gerade sein lassen.
„Liederlich“, hatte sie manchmal gekichert. „Ich bin liederlich geworden. Wenn Mama das wüsste. Gott hab sie selig. Überhaupt: Was bedeutet dieses liederlich eigentlich? Ach, egal.“
Sie goss sich noch einen Becher Kaffee ein, setzte sich an den Küchentisch und schlug die Tageszeitung auf. Ihr Blick fiel auf ein Bild, das ihr gerade ähnelte. Eine Frau saß mit einem Kaffeebecher am Tisch und las die Zeitung. Neben ihr am Boden lag vergessen der Staubsauger auf einem Teppich voller Papierschnipsel und Erdkrumen. ‘Nimm Schmutz und Staub nicht zu ernst!’, stand unter dem Foto geschrieben.
„Oha!“ Oma Schmitt musste lachen. „Wenn das so ist, muss ich jetzt nicht saugen. Das passt mir gerade sehr gut. Oho! Wenn Mama das sähe!“
Sie stand auf, trat zur Kommode und drehte das Bild ihrer Mutter zur Wand. Sicherheitshalber. Dann bückte sie sich und blickte unters Sofa. Nachsehen, was sich dort vor dem Staubsauger versteckt hatte, war Arbeit genug für heute. Sie musste den Arm weit nach hinten recken, fast bis zur Wand, und fand, mitten in einer Staubflusenwolke, ein hellblaues Osterei.
„Oh!“, rief sie. „Der Osterhase war da. Aber es ist doch noch gar nicht Ostern. Oh!“
Sie betrachtete sich das Ei genauer. Arg mitgenommen sah es aus und alt. So alt, wie ein Osterei aussah, das vergessen ein oder zwei oder drei Jahre unterm Sofa in einer Staubwolke lag und darauf wartete, gefunden zu werden.
„Oh!“, rief Oma Schmitt wieder und kickte das Osterei zurück in die dunkle Staubecke unter das Sofa. Zur Erinnerung. „Was bin ich doch für ein liederlicher, schlampiger Mensch! Hoho.“
Sie lachte und fand sich gar nicht liederlich und schlampig, und das fühlte sich gerade sehr gut an. Gut war auch, dass Mama auf dem Foto noch immer auf die Wand blickte.
© Elke Bräunling
Ja, liederlich bin ich auch geworden. Nachlässig, unordentlich. Ich schiebe gern vor mir her.
Wenn das meine Karin sehen würde, Sie hätte mir den “Marsch” geblasen!
Aber etwas Nachlässigkeit, damit kann ich umgehen. Das ist für mich in Ordnung.
Ich muss direkt einmal nachsehen, vielleicht liegt unter meinem Sofa auch noch ein Osterei. Wer weiß.
Oma Schmitt ist resolut, Mama einfach umzudrehen. Wenn auch nur Ihr Bild.
Eine lustige, schöne Geschichte.
Christoph
Und? Was liegt unterm Sofa?
Ordnung ist Definitionssache, Christoph. Jeder hat seine eigenen Maßstabe und hey, was ist gegen ein kreatives Chaos einzuwenden? Schau nur mal bei mir! Diesbezüglich finde ich den Lockdown gar nicht so schlecht: Es kommt keiner, den ich mit Ordnung und Sauberkeit “beeindrucken” muss.
Eine wunderschöne Geschichte, direkt aus dem Leben. Ich bin jetzt 80 J. alt und rückblickend bedaure ich manchmal, dass ich nicht mehr mit meinen Kindern unternommen habe, statt den „Anforderungen“ an eine gute Hausfrau gerecht werden zu wollen. Das war schon ganz schön streng damals. Heute genieße ich es, auch mal „liederlich“ zu sein. Liebe Elke, ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich dich duze, aber ich lese schon so lange gerne deine schönen Geschichten, einige davon finden regelmäßig den Weg in die Heimzeitung eines Altenpflegeheimes in Bremerhaven, die ich versuche, mit Leben und Inhalten zu füllen.
Du hast recht, z.Zt. kommt wirklich niemand, den ich mit meinen hausfraulichen Fähigkeiten beeindrucken muss. Ich lebe schließlich nicht in einer Möbelausstellung, sondern in meinem Häuschen. Man darf auch gerne sehen, dass hier jemand lebt. Ich wünsche Dir und Deinen lieben ein schönes Osterfest.
Danke für die Osterwünsche, liebe Hanna. Und nein, das Duzen stört mich nicht. Im Gegenteil und gerade derzeit ist es schön, wenn man sich wenigstens in der Anrede nähern und berühren darf/kann. Mehr Nähe gibt es ja kaum mehr, leider.
“Liederlich” sein, das ist ein Stück neue Freiheit. Für mich zumindest und ich werde auch nach der Krise nicht wieder damit anfangen, vor angekündigten Besuchen eigens Putztage einzulegen, denn das hat die Vorfreude doch immer sehr gedämpft. Warum auch müssen wir uns immer irgendwelchen Zwängen, die eigentlich keinen interessiert, unterziehen?
Frohe Ostern auch für dich und liebe Grüße 🙂
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Was soll ich tun?
Das ist schon in Ordnung so. Um mir das Blog nicht mit Werbung zumüllen zu lassen, schalte ich Kommentare lieber selbst frei – wenn ich online und im Blog unterwegs bin, was mindestens einmal am Tag der Fall ist.